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Interview mit dem Karriere-Coach Bodo Ikinger

55+ im Ingenieurberuf: „Alter ist kein k.-o.-Kriterium“

Bild: Ezra Bailey via Getty Images

Beschäftigte über 55 Jahre bringen wertvolle Kompetenzen mit. Der Karriere-Coach Bodo Ikinger engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich im VDI als Karriereberater. Im Interview gibt er Einblicke, warum Erfahrung und Innovationsfreude den Unterschied machen. Er teilt Tipps für Bewerbung und lebenslanges Lernen. Unabhängig vom Alter, stehen für Ikinger Mut zur Veränderung und Aufgeschlossenheit für eine erfolgreiche lange Karriere.

VDI: Wie schätzen Sie die aktuelle Situation für Beschäftigte über 55 in Informatik- und IT-Berufen ein?

Bodo Ikinger: Also erstmal ist es so, dass der Bedarf an erfahrenen Ingenieuren und Ingenieurinnen hoch ist. Umso wichtiger ist es, sich bei einem Jobwechsel richtig zu verkaufen. Dieser Erfahrungsschatz von Beschäftigten über 55 Jahre ist nämlich ein großer Bonus. Hier kann ich auch nur an die Personaler und Unternehmen appellieren, mögliche Vorurteile abzulegen. Wer noch richtig Lust auf Veränderung und Innovation im Job hat, ist alles andere als eine „lame duck“.

VDI: Welche Tipps geben Sie älteren Beschäftigten im Ingenieurberuf beim Bewerbungsprozess?

Bodo Ikinger: Wichtig ist, die Bewerbung berufsgruppen- und kompetenzspezifisch zu gestalten. Anschreiben und Lebenslauf unterscheiden sich von denen von Facharbeitern sowie von Berufseinsteigern. Es gilt, seine Alleinstellungsmerkmale herauszuarbeiten und darzustellen, wie sie sich von denen der Mitbewerber unterscheiden. Oft hilft es, die Perspektive zu wechseln und den Prozess aus Sicht des Personalers bzw. des Entscheidungsträgers zu betrachten: Wie will ich als Bewerber wahrgenommen werden? Erfahrung, Leistungsbereitschaft, Engagement, Innovationsfreude, kombiniert mit Leidenschaft, Agilität, Vitalität und persönlicher Dynamik, sollten im Anschreiben sowie im Kurzprofil des Lebenslaufes hervorgehoben werden.

Babyboomer können Fachkräfteengpass reduzieren

VDI: Im aktuellen VDI/IW-Ingenieurmonitor steht, dass seit 2012 die Beschäftigung älterer Menschen in akademischen MINT-Berufen stark gestiegen ist. Das ist erfreulich. Ältere haben damit stark zur Fachkräftesicherung und Reduzierung der Engpässe beitragen können. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung im MINT-Bereich?

Bodo Ikinger: Mit zunehmender Berufserfahrung steigt das Gehalt im Ingenieurberuf in der Regel – ein attraktiver Anreiz, noch etwas länger zu arbeiten. Allerdings nehme ich wahr, dass das Streben nach höherem Einkommen im Alter nachlässt. Man hat seinen Lebensstandard erreicht und möchte diesen halten. Motive wie Sinnhaftigkeit, Nachhaltigkeit und innovative Entwicklungen für die Gesellschaft wirken weitaus attraktiver. Ebenso leben ältere Beschäftigte wertvolle Werte und Motive vor wie Einsatzbereitschaft, Zuverlässigkeit, Gründlichkeit, Loyalität und lebenslanges Lernen und geben diese an neue Mitarbeiter weiter.

VDI: Was sollten jüngere Kollegen und Kolleginnen aus der GenZ Babyboomer vor der Rente noch unbedingt fragen?

Bodo Ikinger: Das würde ich aufs Leben generell beziehen. Später weiß man nämlich: Das Leben ist ein Marathon und kein Sprint. Bei jungen Berufseinsteigern nehme ich schon mal wahr, dass sie auf der Überholspur unterwegs sind, das Leben mit Vollgas bestreiten. Tendenziell arbeiten wir immer länger. Da stellt sich die Frage: Wie bleiben wir durchgängig körperlich sowie mental gesund?  

Jobsharing und Co.: Unternehmen sind bei flexiblen Arbeitsmodellen gefragt

VDI: Was halten Sie eigentlich vom Modell Jobsharing?

Bodo Ikinger: Prinzipiell ist das natürlich eine Option im Sinne von New Work. Heute ist es möglich von überall auf der Welt mobil zu arbeiten. Ich sag mal so: Wenn es in das Unternehmenskonzept passt, halte ich solche Ansätze für valide. Unternehmen sollten ihre Arbeitskonzepte insgesamt an die aktuellen Möglichkeiten anpassen und flexibler gestalten.

VDI: Weiterbildung und lebenslanges Lernen sind Grundpfeiler, um bis zur Rente up-to-date zu sein im Job. Wie hat sich dieser Aspekt in den letzten Jahren womöglich gewandelt?

Bodo Ikinger: Früher bezogen sich Weiterbildungen meist auf rein fachliche Kompetenzen. Heute müssen Weiterbildungen verstärkt auch in Persönlichkeitsentwicklung gehen. Man sollte immer einen Schritt weiter denken sowie über den Tellerrand, über den eigenen Verantwortungsbereich hinausschauen, insbesondere Ingenieure und Ingenierinnen. Denn sie gestalten die Technik und die Innovationen von morgen – für die Menschen, für die Gesellschaft. Themen wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind keine Themen der Zukunft, sondern der Gegenwart.

VDI: Haben Sie aus Ihrer Zeit als Karrierecoach eine Erfolgsgeschichte eines 55+Bewerbers?

Bodo Ikinger: Ja, mein ältester Klient war 62 Jahre jung, der für den Bewerbungsprozess einen sehr herausfordernden Werdegang hatte. Er war viele Jahre im Ausland selbstständig. Dabei handelte es sich um Länder, bei denen man zuerst an schöne Urlaube denkt. In Deutschland wollte er dann wieder eine Festanstellung. Nachdem wir zunächst seine hinderlichen Glaubenssätze wie „zu alt“, „zu fachspezifisch“ in Positive wandelten, haben wir stark an seiner Selbstpräsentation und den Alleinstellungsmerkmalen gearbeitet, so dass er innerhalb von fünf Monaten eine passende Stelle finden konnte. Wie man sieht, ist Alter kein k.-o.-Kriterium.

Über Bodo Ikinger

Bodo Ikinger ist seit vielen Jahren als Business- und Persönlichkeitscoach tätig und unterstützt Fach- und Führungskräfte dabei, ihre beruflichen Ziele zu erreichen. Sein Coaching-Schwerpunkt liegt auf Karriereplanung, Persönlichkeitsentwicklung und Mentaltraining. Zudem bietet er ein Förderprogramm für Arbeitssuchende an, um sie bei der beruflichen Neuorientierung zu begleiten. Aktuell engagiert er sich beim Zukunftsdialog „Qualifikation der Zukunft“ im Ingenieur- und IT-Beruf innerhalb der VDI-Initiative „Zukunft Deutschland 2050“.

Mitgliederporträt: Bodo Ikinger

Mehr über den aktuellen Stand und die Entwicklung relevanter Indikatoren des Arbeitsmarktes in den Ingenieur- und Informatikerberufen erfahren Sie in unseren aktuellen VDI-/IW-Ingenieurmonitoren, die kostenfrei zum Download zur Verfügung stehen.

VDI-/IW-INGENIEURMONITOR II/24 "ÄLTERE BESCHÄFTIGTE"    

VDI-/IW-INGENIEURMONITOR III/24 "ATTRAKTIVE PERSPEKTIVE"

Interview: Sarah Janczura

Fachliche Ansprechperson im VDI: 
Ingo Rauhut
Bereich Strategie und Transformation
Telefon: +49 211 6214-697
E-Mail: st-duesseldorf@vdi.de

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