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Online Nord Veranstaltung zum Thema „Digitaler Zwilling in der Praxis“ vom 27.4.2021

Was ist ein Digitaler Zwilling (DZ) und welche Anwendung dafür gibt es in der Praxis? Mit einer VDI ONLINE-NORD Premiere mit 2 Vorträgen, 3 Speakern, gemeinsamer Diskussionsrunde und interaktiven Austausch im Anschluss in der „VDI Wunderbar“ moderierten Alexander Boers und Mario Schlömann zusammen mit Gast-Moderator Matthias Baron (AK QM-ONLNE, Bezirksverein München) durch die faszinierenden Welten des digitalen Zwillings im Maschinenbau und Bauwerkstechnik.  

Im ersten Impulsvortrag des Abends zeigte Jakob Trauer (TU München)* die „Anwendung Digitaler Zwillinge in der technischen Produktentwicklung“.

Ein DZ ist ein virtuelles dynamisches Abbild eines physischen Systems, das mit dem Original im gesamten Lebenszyklus zum bidirektionalen Datenaustausch verbunden ist. In der Produktion kann der DZ für Planung und Tests sowie für die Überwachung der Fertigung verwendet werden, beispielsweise auch für eine Prognose von Taktzeiten und das Qualitätsmanagement. Im Idealfall können damit kostenintensive physische Tests durch virtuelle Tests und Simulationsmodelle ersetzt werden. Auch Entwicklungsprozesse können optimiert werden durch die Betrachtung der virtuellen Abbildung. Eine Überwachung des Nutzungsverhaltens des Produktes beim Gebrauch ist schließlich ebenso virtuell machbar wie eine Fehlersuche und Fehlerursachenermittlung im Simulationsmodell.

Seit über 20 Jahren gibt es nun schon den Ansatz des DZ, aber noch immer stehen der Realisierung zahlreiche Barrieren entgegen - prozessuale, methodische, organisatorische, kulturelle, rechtliche, technische Barrieren und Managementbarrieren.
Die Komplexität bei der Produktentwicklung steigt zunehmend an, vor allem hier wären DZ hilfreich. Sie sollen als originalgetreuer digitaler Nachbau eines physischen Objektes dazu dienen, z.B. Folgen von Nutzung oder Umwelteinflüssen zu simulieren und Wartungsanforderungen exakt zu planen.

Der Ursprung liegt in einem NASA-Projekt der 1960er Jahre, bei dem am Boden ein physical twin eines Objekts im All benötigt wurde mangels Datenübertragung. Anfang der 2000er Jahre waren es dann schon virtuelle Modelle, die zu beobachten halfen, wie sich ein Bauteil im All verhält. Noch ist der Ansatz des DZ in der Industrie in den Anfängen. Ein Vorher-Nachher-Vergleich zeigt die noch zu realisierenden Möglichkeiten am deutlichsten: Früher war man mühsam mit Kompass oder Karte unterwegs, heute startet man das Navi oder Google, gibt das Ziel ein und die Technik liefert die Routenempfehlung. Die klassische Methode operierte data-based, die Methode der Zukunft wird data-driven sein.

Der zweite Impulsvortrag von Dr.-Ing. Martin Herbrand & Dr.-Ing. Marc Wenner, „Digitale Zwillinge zur Optimierung des Erhaltungsmanagements von Infrastrukturbauwerken“, gab die technische Geschichte der Hamburger Köhlbrandbrücke wieder. Sie wurde 1974 erbaut als Spannbetonbrücke bzw. Schrägseilbrücke. Ab den 1980er Jahren war die Nutzung von 3D-Simulationen mit CAD möglich, ab 2006 auch die 4D-Modellierung von Bauwerken. Die Hamburger Elbphilharmonie wurde das erste große BIM-Projekt. Viele in Deutschland gebaute Betonbrücken aus den 50er bis 70er Jahren sind instandhaltungsbedürftig. Die Nutzungsdauer muss verlängert werden, da nicht gleichzeitig alle erneuert werden können. Im Auftrag der Hamburg Port Authority (HPA) soll der DZ für die Köhlbrandbrücke zeigen, dass dies mit Hilfe der digitalen Erfassung umsetzbar ist. Eine manuelle Prüfung der Brücke, Schadensbehebung und analoge Dokumentation wäre sehr aufwändig und müsste ständig ebenso aufwändig aktualisiert werden. Deswegen wird nun die digitale Erfassung erprobt: Anbringung von Sensoren an der Brücke zur Überwachung und Messung von Materialreaktionen, Reaktion auf das Wettergeschehen, Schadensdokumentation, Verkehrsdatenauswertung – all das wird in den DZ eingebunden. Eine riesige Messanlage, die laufend kalibriert und getestet wird, ist erforderlich, inklusive gelegentlicher Sperrungen der Brücke. 45 verschiedene Zukunftsindikatoren werden aus der Messung abgeleitet. Die Server und Software-Standards dafür sind open-source-basiert, damit keine Insellösungen entstehen. Andere Bauwerke sollen gleichermaßen erfassbar werden, eine Teilung der Daten mit Polizei und Feuerwehr u.a. ist vorgesehen. Marc Wenner erklärt am Beispiel der Simulation von Windeinfluss bis hin zu Orkan, was das Bauwerksmanagement in Zukunft im 3D-Modell sehen kann als Entscheidungsgrundlage für z.B. im Extremfall Warnungen für die Brückennutzung.

Nach den ersten Fragen aus dem Publikum wurde die Diskussionsrunde mit den Referenten nach kurzer Zeit von Zoom auf die Plattform wonder.me verlagert.

*Jakob Trauer, M.Sc. am Lehrstuhl Produktentwicklung und Leichtbau der Fakultät für Maschinenwesen der Technischen Universität München

Bericht: Anja Riemer


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