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Vom Fachwissen zur Zukunftskompetenz

Qualifikation als Schlüssel zum Erfolg

Bild: skynesher/E+ via Getty Images

Die Qualifikation von Ingenieurinnen und Ingenieuren ist ein zentraler Baustein für den Erhalt und Ausbau der Innovationskraft Deutschlands. In einer Zeit rasanter technologischer Entwicklungen, globaler Wettbewerbsdynamik und wachsender Herausforderungen wie der Digitalisierung, des Klimawandels und der Künstlichen Intelligenz, sind fundierte Aus- und Weiterbildungsstrategien unerlässlich.

Der Deutsche Ingenieurtag 2025, der am 15. Mai in Düsseldorf stattfindet, widmet sich diesem Thema intensiv, insbesondere in der Fachsession "Qualifikation", in der auch Prof. Dr. Gerhard Müller sprechen wird. Als Mitglied der Taskforce Qualifikation der Initiative Zukunft Deutschland 2050 engagiert sich Müller dafür, die Weichen für eine zukunftsfähige Ingenieurausbildung zu stellen.

VDI: Warum ist das Thema Qualifikation so zentral für den Technologiestandort Deutschland?

Gerhard Müller: Qualifikation ist der Grundpfeiler für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Neue Technologien und Herausforderungen erfordern, dass wir unsere Ausbildungssysteme kontinuierlich anpassen. Traditionelle Strukturen in der Ingenieurausbildung, etwa die starre Trennung nach Disziplinen wie Maschinenbau oder Bauingenieurwesen, müssen überdacht werden. Wir brauchen flexiblere Modelle, die sich stärker an den Bedürfnissen von Gesellschaft und Umwelt und an den Optionen aus dem technologischen Fortschritt orientieren. Im Ingenieurbereich gibt es eine klassische Sortierung zwischen Bauingenieurwesen, Maschinenbau und Elektrotechnik. Diese orientiert sich traditionell an Artefakten wie Auto oder Straße, statt an den Bedürfnissen der Menschen wie Mobilität oder den Herausforderungen für den Planeten. Wir müssen hinterfragen, ob diese traditionelle Sortierung ausreicht.

VDI: Welche Veränderungen sind notwendig, um langfristig erfolgreich zu bleiben?

Gerhard Müller: Wir müssen sowohl die curricularen Inhalte als auch die Lehrformate weiterentwickeln. Projektbasiertes Lernen und interdisziplinäre Ansätze sind essenziell. Gleichzeitig brauchen wir ein Bildungssystem, das lebenslanges Lernen fördert. Das bedeutet, dass nicht nur Wissen vermittelt wird, sondern auch Kompetenzen wie kritisches Denken, Problemlösungsfähigkeit und die Bereitschaft, sich immer wieder neu zu orientieren.

Wir brauchen eine Kultur, in der Scheitern kein Makel ist. Auch bei der beruflichen Einarbeitung muss mehr Bidirektionalität im Austausch entstehen, damit die Dynamik und Ideen der jungen Generation zur Entfaltung kommt.

VDI: Inwiefern beeinflussen technologische Entwicklungen wie Künstliche Intelligenz die Anforderungen an die Ingenieurausbildung?

Gerhard Müller: KI verändert nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch die Art und Weise, wie wir lernen und Wissen anwenden. Ingenieurinnen und Ingenieure müssen in der Lage sein, technologische Entwicklungen, Wissen und Erkenntnisse zu kontextualisieren, kritisch zu bewerten und kreativ anzuwenden.

Das erfordert eine Ausbildung, die über reines Fachwissen hinausgeht und ethische, gesellschaftliche sowie interdisziplinäre Perspektiven integriert.

VDI: Was erwarten Sie von der Fachsession Qualifikation auf dem Deutschen Ingenieurtag?

Gerhard Müller: Wir brauchen einen offenen Dialog über die Zukunft der Ingenieurausbildung. Wir müssen uns fragen: Welche Kompetenzen brauchen wir in 20 Jahren? Wie gestalten wir Lernumgebungen, die Kreativität und Innovationsgeist fördern? Und wie schaffen wir es, Talente zu identifizieren und zu fördern, unabhängig von traditionellen Bildungswegen?

VDI: Welche Rolle spielt der VDI dabei?

Gerhard Müller: Der VDI kann als Brückenbauer zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik agieren. Er kann Impulse setzen, Debatten anstoßen und dabei helfen, Reformen im Bildungsbereich voranzutreiben. Die Initiative Zukunft Deutschland 2050 ist ein gutes Beispiel dafür, wie der VDI zukunftsweisende Themen aktiv mitgestaltet.

VDI: Gibt es konkrete Beispiele, wo Sie Verbesserungsbedarf sehen?

Gerhard Müller: Ja, ein Punkt ist die mangelnde Fehlerkultur. In Deutschland wird Scheitern oft als Makel betrachtet, was Innovationsbereitschaft hemmt. In anderen Ländern ist das anders: Dort gilt das Ausprobieren – auch wenn es scheitert – als wertvolle Erfahrung. Hier müssen wir umdenken, insbesondere in der Ausbildung und in Unternehmen.

Wir waren in der Vergangenheit stark, aber wo sind die deutschen Erfolge in neuesten Technologien? Wir haben sehr gute Forschung, aber Schwächen in Vermarktung und Umsetzung. Start-ups wandern ab, weil unser regulatorisches System zu restriktiv ist. Wir müssen selbstkritisch hinterfragen, was in den letzten Jahrzehnten schiefgelaufen ist und daraus lernen.

VDI: Wie sieht Ihrer Meinung nach das ideale Kompetenzprofil der Zukunft aus?

Gerhard Müller: Wir brauchen vielseitige Ingenieurinnen und Ingenieure, die nicht nur fachlich exzellent sind, sondern auch über den Tellerrand blicken. Kommunikationsfähigkeit, interkulturelle Kompetenz und ein Verständnis für ethische Fragestellungen sind wichtig und ein technisches Know-how essentiell. Die Fähigkeit, Wissen flexibel in neuen Kontexten anzuwenden, wird entscheidend sein.

Außerdem für erfolgreiche Innovationen: Weniger Regulatorik, mehr Mut, Neues zu wagen und Scheitern zuzulassen. Wir müssen den jungen Generationen helfen, ihre Talente zu entfalten und Innovationen umzusetzen. Das erfordert ein Bildungssystem, das Individualität und Kollaboration fördert.

Zur Person

Prof. Dr.-Ing. Gerhard Müller ist seit 2014 geschäftsführender Vizepräsident für Studium und Lehre sowie seit 2004 Professor für Baumechanik an der TU München.

Nach seinem Bauingenieurstudium promovierte, habilitierte er und war bis 2004 in der Praxis tätig, zuletzt als Geschäftsführer der Müller-BBM GmbH.

Er engagiert sich in der Ingenieurausbildung und ist Vorsitzender des Bildungsausschusses der Bayerischen Ingenieurekammer Bau sowie des Bayerisch-Französischen Hochschulzentrums. Zudem war er bis 2024 im Board der SEFI und als VDI-Fachbeiratsvorsitzender aktiv.

Autorin: Gudrun Huneke

Fachliche Ansprechpartner:
Dr. Thomas Kiefer
Bildung & Netzwerke
E-Mail: kiefer@vdi.de 

Ingo Rauhut
Arbeitsmarkt
E-Mail: rauhut@vdi.de

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