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Ehrenplakette für Norbert Kockmann

Verfahrenstechnik: Schlüssel zur nachhaltigen Zukunft

Bild: VDI

Prof. Dr.-Ing. Norbert Kockmann ist Verfahrenstechniker aus Leidenschaft und findet neben der Wissenschaft noch Zeit für großes ehrenamtliches Engagement. Im Interview erklärt Kockmann, welche Rolle die Verfahrenstechnik für die Nachhaltigkeit spielt und wie diese vielseitige Disziplin die Grundlage für viele industrielle und alltägliche Prozesse bildet.

VDI: Sie wurden für Ihr Engagement in der Verfahrenstechnik mit der VDI-Ehrenplakette ausgezeichnet. Verfahrenstechnik ist ein weites Feld. Was macht sie aus, und was fasziniert Sie persönlich daran?

Norbert Kockmann: Verfahrenstechnik, oder auch Prozesstechnik kommt eigentlich überall zum Einsatz. Denn sie beschäftigt sich mit Prozessen, Umwandlungen und Transformationen, also mit allem, wo Stoffe oder Energie verändert werden. Das ist Energietechnik, Lebensmittelproduktion, Textilien, Farben und vieles mehr. 95–97 % aller Produkte haben einen chemischen Umwandlungsprozess durchlaufen. Es führt also kaum ein Weg daran vorbei.

„Verfahrenstechnik ist überall“ – Was dieses vielseitige Fachgebiet ausmacht

Zudem ist die Verfahrenstechnik sehr stark interdisziplinär: Da sitzen dann Chemiker mit Biotechnologen, Maschinenbauern und Informatikern zusammen, um gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Das ist schon spannend und sehr abwechslungsreich.

VDI: Wie sind Sie zur Verfahrenstechnik gekommen?

Norbert Kockmann:

Ich selbst bin von Haus aus Maschinenbauer und habe mich in Luft- und Raumfahrttechnik spezialisiert. Mein Interesse an dynamischen Prozessen brachte mich zur Verfahrenstechnik. Während meiner Promotion in technischer Thermodynamik, Wärme- und Stofftransport hat mich fasziniert, wie lebendig dieses Fachgebiet ist. Im Maschinenbau bewegt sich ein bisschen was in der Mechanik, aber in der Verfahrenstechnik bewege ich fluide Gase, Flüssigkeiten und Feststoffe. Schon damals war dieses Feld eng mit der Nachhaltigkeit verknüpft. Denn wenn ich Prozesse effizient mache, kann ich Produkte nachhaltiger gestalten. Da geht es neben Energieeffizienz auch um Stoffeffizienz. Dazu arbeiten wir an einer höheren Verträglichkeit mit der Umwelt und schaffen bessere Arbeitsbedingungen, in denen Menschen zum Beispiel durch automatisierte Anlagen nicht mehr mit gefährlichen Stoffen in Kontakt kommen.

Wie der Spagat zwischen Theorie und Praxis gelingt

VDI: Sie haben zwischen Wissenschaft und Industrie gewechselt. Wie hat Sie dieser Wechsel geprägt?

Norbert Kockmann: Nach meiner Promotion arbeitete ich zunächst im Anlagenbau und in der Gaseindustrie, kehrte dann aber an die Universität zurück, weil mir der Kontakt mit jungen Menschen und die Möglichkeit, Entwicklungen voranzutreiben, wichtig sind. Der Wechsel zwischen Wissenschaft und Praxis hat mir geholfen, Theorie und Anwendung besser zu verstehen.

Mit den jungen Menschen an der Universität entwickelte man neue Ideen und erhält sich ganz neue Perspektiven. In der Industrie setzt man diese Ideen um. Beide Seiten ergänzen sich im Idealfall. Das erlebe ich auch bei meiner Arbeit in den Gremien des VDI, in denen Hochschulvertreter und Industrie zusammenkommen. Gemeinsam identifizieren wir Forschungslücken, setzen neue Schwerpunkte und diskutieren, welche Kompetenzen die Ingenieurinnen und Ingenieure in der Zukunft benötigen.

Nachwuchsförderung gestaltet Zukunft

VDI: Sie engagieren sich stark für den Nachwuchs, etwa durch Projekte wie ChemCar. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Norbert Kockmann: Nachwuchsförderung ist essenziell, um junge Menschen frühzeitig für Technik zu begeistern. Wettbewerbe wie ChemCar sind ein gutes Beispiel: Studierende entwickeln chemisch angetriebene Fahrzeuge, die in Wettbewerben gegeneinander antreten. Dabei lernen sie, Theorie und Praxis zu verbinden. Solche Projekte fördern Teamarbeit, kreatives Denken und Problemlösungskompetenzen.

An der TU Dortmund bieten wir seit langem projektbasiertes Lernen an, um Studierende praxisnah auszubilden. ChemCar, ChemPlant oder ähnliche Projekte gehen noch einen Schritt weiter: Sie simulieren reale industrielle Herausforderungen. Bemerkenswert ist, dass solche Projekte oft neue Ideen hervorbringen oder bekannte Ideen für neue Anwendungsfelder schärfen. Vor zwei Jahren entwickelte ein Team hier ein Konzept, das nun zu einem potenziellen Startup weiterentwickelt wird.

VDI: Die Verfahrenstechnik steht vor großen Herausforderungen, etwa im Bereich Nachhaltigkeit. Welche Chancen sehen Sie für die Zukunft?

Norbert Kockmann: Wir brauchen effiziente industrielle Prozesse, denn mit handwerklichen Methoden allein könnten wir nie acht Milliarden Menschen ernähren, einkleiden, transportieren oder unseren Lebensstandard auf diesem Niveau halten. Und wir brauchen mehr Nachhaltigkeit. Diese wird ohne Verfahrenstechnik nicht gelingen. Prozesse effizienter zu machen und Produkte umweltfreundlicher zu gestalten, ist unser Ziel. Dabei spielt nicht nur Energieeffizienz eine Rolle, sondern auch die stoffliche Nutzung. Verfahrenstechnische Methoden helfen, den CO2-Fußabdruck zu reduzieren und Kreislaufprozesse zu entwickeln.

Digitale Werkzeuge wie Künstliche Intelligenz ermöglichen es uns, Daten besser zu nutzen und Prozesse zu optimieren. Ein Beispiel ist die Vorhersage von Stoffeigenschaften durch Algorithmen, wie wir sie aus der Unterhaltungsindustrie kennen, wo sie uns neue Filme vorschlagen. Solche Ansätze eröffnen völlig neue Möglichkeiten in der Entwicklung.

Auch die Nutzung neuer Rohstoffe wie biobasierter Materialien oder die Integration von Wasserstoff erfordern Innovationen. Wir müssen Prozesse und Anlagen an diese neuen Gegebenheiten anpassen. Spannend ist dabei die Herausforderung, fluktuierende Energiequellen wie Wind und Sonne in industrielle Prozesse einzubinden. Dies erfordert nicht nur technisches Know-how, sondern auch ein Umdenken in der Verfahrenstechnik.

Ehrenamt ist Netzwerke, Inspiration und persönlicher Gewinn

VDI: Was möchten Sie jungen Ingenieurinnen und Ingenieuren mit auf den Weg geben?

Norbert Kockmann: Wichtig sind Neugier und Offenheit für Neues. Die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen und der Austausch mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen helfen, den eigenen Horizont zu erweitern. Ingenieure sollten sich stets fragen, wie sie ihre Arbeit nachhaltiger und effizienter gestalten können. Der Werkzeugkasten der Verfahrenstechnik bietet hierfür unzählige Möglichkeiten. Außerdem sollte man keine Angst haben zu scheitern oder sich neuen Themen zu widmen, auch wenn man anfangs wenig darüber weiß.

VDI: Was bedeutet Ihnen Ihr ehrenamtliches Engagement im VDI?

Norbert Kockmann: Ehrenamtliche Arbeit ist für mich ein großer Gewinn. Der Austausch in Netzwerken wie dem VDI ermöglicht es, Kontakte zu knüpfen und Erfahrungen zu teilen. Es gibt einem die Möglichkeit, etwas zurückzugeben und gleichzeitig selbst zu profitieren. Das Netzwerk wächst im Laufe der Jahre immer weiter und die Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen werden intensiver und sind immer wieder inspirierend. Das Ehrenamt bereichert das Leben und man bekommt viel positives Feedback aus der Community.

Über Prof. Dr.-Ing. Norbert Kockmann

Nach seinem Maschinenbaustudium an der TU München von 1985 bis 1991 wechselte Norbert Kockmann an die Universität Bremen, Lehrstuhl für Technische Thermodynamik, Wärme- und Stoffübertragung. 1996 schloss er seine Dissertation zum Thema „Belagbildung bei Suspensionsströmung im vertikalen Fallfilm“ ab und begann als Projektingenieur in der Ingenieurabteilung von Messer Griesheim GmbH. Seine Arbeit als Projektleiter für die Errichtung großer Luftzerlegungsanlagen und einer Synthesegasanlage beendete er 2001 und wechselte als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, IMTEK, Konstruktion von Mikrosystemen. Seine Forschung begann mit Mischvorgängen in Mikrokanälen und erstreckte sich über Mikroreaktordesign, Wärme- und Stoffübertragung, Trennverfahren und Systemintegration. Nach seiner Habilitation zum Thema „Transport Phenomena in Micro Process Engineering“ begann er bei Lonza AG in Visp, Schweiz, als Leiter eines Chemielabors und Senior Scientist.

Im Jahr 2011 wurde Norbert Kockmann zum Professor und Leiter der Arbeitsgruppe Apparatedesign an der TU Dortmund ernannt. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf chemischen und biokatalytischen Reaktionen, Mehrphasenströmungen sowie Wärme- und Stoffübertragungsvorgänge in der Mikrosystem- und Mikroverfahrenstechnik. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit der Entwicklung und Charakterisierung intelligenter Apparate, KI-Anwendungen in der Verfahrenstechnik sowie mit Metadaten und Ontologien im Forschungsdatenmanagement. Prof. Kockmann ist (Mit)Autor von mehr als 260 wissenschaftlichen Aufsätzen und vier Lehrbüchern. Derzeit ist er Dekan der Fakultät für Bio- und Chemieingenieurwesen und 2. Vorsitzender der Dechema-Fachsektion Process Engineering and Materials Technology.

Norbert Kockmann ist Iangjähriges Mitglied des GVC-Beirats und Unterstützer der VDI-Wettbewerbe ChemCar und ChemPLANT.

Interview: Gudrun Huneke

Fachliche Ansprechpartnerin:
Dipl.-Ing. Vivien Manning
VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen
E-Mail: manning@vdi.de 

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