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Qualitätssicherung

Getränketechnologie: Voll im Saft?

Bild: Roman Zaiets/Shutterstock.com

Weit über 50 Milliarden Liter Getränke werden hierzulande pro Jahr konsumiert. Sie herzustellen und abzufüllen ist anspruchsvoll und geschieht zum Teil unter Reinraumbedingungen. Selbst kleinste Fehler gilt es zu vermeiden, denn sonst drohen wirtschaftliche Schäden oder gar Gesundheitsrisiken für Verbraucher. Daniel von der Gablentz von der vod-engineering GmbH und Mitglied im Gremium der Richtlinienreihe VDI 4066 zu Herausforderungen, Trends und Berufschancen in der Getränkeindustrie.

VDI: Herr von der Gablentz, welche Menge an Getränken wird in Deutschland konsumiert?

von der Gablentz: Der Getränkekonsum liegt in Deutschland seit Jahren relativ konstant bei zwei Litern pro Tag und Person, also umgerechnet rund 58 Milliarden Litern pro Jahr. Ein Großteil davon ist Kaffeekonsum. Dann folgen Wasser aus dem Supermarkt oder dem Getränkehandel mit umgerechnet 12 Milliarden Litern und Erfrischungsgetränke mit 9,6 Milliarden Litern. Es folgen Säfte und natürlich alkoholische Getränke.

VDI: Welche Umsätze erwirtschaftet die Getränkeindustrie?

von der Gablentz: Die Privathaushalte geben pro Jahr 21 Milliarden Euro für alkoholfreie Getränke und 25 Milliarden Euro für alkoholische Getränke aus. Ein Großteil davon landet bei der Getränkeindustrie. Entsprechend viele Menschen sind dort beschäftigt, wobei sich deren Zahl nicht exakt beziffern lässt. Neben getränkeabfüllenden und -herstellenden Unternehmen gehören Anlagenhersteller und eine Vielzahl von Zulieferbetrieben zu den Arbeitgebern entlang dieser Wertschöpfungsketten.

VDI: Was sind die zentralen Herausforderungen?

von der Gablentz: Das Risiko eines wirtschaftlichen Schadens durch fehlerhafte Produktionen ist in der Getränkeproduktion vergleichsweise hoch. Wenn etwa ein Unternehmen die komplette Charge eines Getränks nicht verkaufen kann, weil diese nicht verkehrsfähig ist. Zeit, Geld und Arbeitsraft für Herstellung, Abfüllung und Reinigung sind dann komplett verloren. Und da die Getränke nicht auf den Markt kommen, müssen sie eventuell noch entsorgt werden. Auch das kostet Zeit und Geld bei vollständigem Umsatzausfall.

Ausschussware gilt es daher unter allen Umständen zu vermeiden. Mitunter lässt sich die Ware auch nicht neu beschaffen, zum Beispiel bei exotischen Früchten in bestimmten Qualitäten. Hierdurch wäre der Hersteller unter Umständen partiell nicht lieferfähig.

VDI: Wie hoch ist das Gesundheitsrisiko durch verdorbene Getränke?

von der Gablentz: Das Gesundheitsrisiko durch verdorbene oder verunreinigte Getränke ist überschaubar. In der Regel schmecken sie einfach nicht mehr. Falls sie trotz Qualitätssicherung doch auf den Markt gelangen, so korreliert das potenzielle Gesundheitsrisiko vor allem mit dem pH-Wert des Getränks.

Liegt der Wert unter 4,5 können sich Krankheitserreger nicht nennenswert vermehren. Bei diesen Getränken gibt es kein Risiko durch pathogene Keime. Fast alle Säfte und Erfrischungsgetränke landen bei einem pH-Wert unter 4,5. Milch und Kokoswasser haben dagegen einen hohen pH-Wert. Außerdem spielen Faktoren eine Rolle, die das Keimwachstum bremsen oder begünstigen. Alkohol und Kohlensäure hemmen die Vermehrung, während Zucker das Wachstum von Mikroorganismen fördert.

Auch Reinigungsmittel, die aufgrund eines Fehlers in der Anlage zurückbleiben, sind ein mögliches, aber geringes Gesundheitsrisiko. Insektizide oder Pestizide auf Obst und Gemüse sind ebenfalls kein Problem, da diese im Wareneingang streng kontrolliert werden.

VDI: Welche Getränke verderben besonders schnell?

von der Gablentz: Getränke mit einem hohen pH-Wert und wenig Schutzfaktoren sind sensibel gegenüber Mikroorganismen und verderben deswegen viel schneller. Milch, Kokoswasser und kohlensäurefreie Getränke mit Zucker gehören zu diesen Getränken – kein Wunder also, dass Milch und Kokoswasser aseptisch und unter Reinraumbedingungen abzufüllen sind.

VDI: Was passiert bei der Abfüllung im Reinraum?

von der Gablentz: Wenn das Getränk außerhalb der Kühlkette vertrieben wird, sterilisieren die Getränketechnologen das Produkt, indem sie es auf 121 Grad Celsius erhitzen. Danach füllen sie es im Reinraum ab. Auch Gebinde und Deckel werden sterilisiert, bevor kontaminationsfrei abgefüllt wird.

Das ist extrem anspruchsvoll und stellt technisch das maximal mögliche dar. Die Richtlinienreihe VDI 4066 gibt hier konkrete, praxisnahe Empfehlungen für die Umsetzung im Sinne einer Good Manufacturing Practice. Dazu gehören auch die Qualitätskontrolle und eine regelmäßige Revalidierung. Ich empfehle eine jährliche Revalidierung auf Basis der VDI 4066, meistens im Anschluss an die Wartung. Der Ausschuss lässt sich durch eine jährliche Revalidierung sehr geringhalten.

VDI: Welche Produktionsschritte sind besonders sensibel?

von der Gablentz: Grundsätzlich kann an jeder Stelle der Getränkeproduktion etwas schiefgehen. Besondere Hotspots sind die Abfüllung und das Anrühren bzw. das Ausmischen des Produkts. Dazwischen liegende Erhitzungsschritte reichen unter Umständen nicht aus, wenn die Charge kontaminiert ist. Auch die richtige Lagerung ist ein wichtiger Faktor. So hat jede Obst- oder Gemüsesorte ihre eigene Saison und muss nach der Ernte gelagert werden. Zum Beispiel werden Äpfel nach der Ernte im Herbst direkt gepresst und eingelagert. Der Vorrat muss hier bis zur nächsten Saison ausreichen.

VDI: Welche Rolle spielt die Qualitätssicherung?

von der Gablentz: Eine zentrale Rolle. Hier gilt es vor allem, die Qualitätssicherung (QS) kontinuierlich und auf hohem Niveau im gesamten Betrieb durchzusetzen. Sie ist unheimlich wichtig für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Dennoch wird sie häufig kritisiert, weil sie erstmal Geld kostet. Die QS-MitarbeiterInnen können manchmal nicht alle Maßnahmen implementieren, die nötig wären. Hierzu gehören regelmäßige Wartungen, vorbeugende Instandhaltung und ausreichende Reinigungszeiten. Diese verursachen kurzfristig Stillstände und Produktionsausfälle. Mittel- und langfristig beugen die Wartungen deutlich längeren Stillständen vor und minimieren die Ausschussquoten.

VDI: Welche Bedeutung haben Messung und Monitoring?

von der Gablentz: Sie sind Teil der Qualitätssicherung. Herstellung und Abfüllung unterliegen einem ständigen Monitoring, zum Beispiel in puncto Temperatur, pH-Wert oder Zuckergehalt. Zudem verkosten mehrere Personen das Produkt vor der Abfüllung und vergleichen es mit einem Referenzmuster. Zusätzlich werden Stichproben des Getränks mikrobiologisch untersucht. Hier gilt: Je sensibler das Getränk, desto häufiger und in größerem Umfang wird es mikrobiologisch untersucht.

VDI: Welche Vorgaben macht der Gesetzgeber zur Getränkequalität?

von der Gablentz: Die Vorgaben des Gesetzgebers sind relativ grob. Letztendlich ist der Hersteller dafür verantwortlich, ein einwandfreies Produkt auf den Markt zu bringen. Wie er das im Detail umsetzt, ist ihm überlassen. Hier helfen ihm Leitsätze oder Richtlinien wie die VDI 4066, um seine Produkte im Sinne einer Good Manufacturing Practice (GMP) herzustellen. Sie spiegeln den aktuellen Stand der Technik und des Wissens wider und setzen die Vorgaben des Gesetzgebers konkret, praktisch und detailliert um.

Ein Beispiel aus der Statistik von Stichprobenanalysen verdeutlicht die Wichtigkeit von GMP: Bei einer Probenanzahl von unendlicher Grundgesamtheit landet man mit fünf Proben bei einer statistischen Sicherheit von 99 Prozent. Das hört sich erstmal gut an. Wenn nun eine Abfüllanlage zehn Stunden lang 20.000 Flaschen pro Stunde abfüllt, hat sie am Ende des Tages 200.000 abgefüllte Flaschen produziert – sofern keine Unterbrechungen erfolgen. Bei einem Prozent davon, sprich bei 2.000 Flaschen, wissen sie statistisch gesehen nicht, ob diese qualitativ in Ordnung sind. Und das gilt nur für einen Tag!

VDI: Was kann der Hersteller also sonst noch tun?

von der Gablentz: Er kann und sollte Herstellung und Abfüllung im Sinne einer GMP unbedingt regelmäßig revalidieren – und das so sauber und exakt wie möglich. Hier unterstützt etwa die Richtlinienreihe VDI 4066 Anlagenhersteller und -betreiber mit Vorgaben, die je nach VDMA-Klasse der Anlage variieren. Sie sagt auch, was bei einer solchen Revalidierung konkret zu tun ist und wann diese als validiert zu betrachten ist. Danach kann das Unternehmen sagen: „Ich habe nach GMP alles mir Mögliche getan.“

VDI: Klingt aufwendig. Welche Ingenieurdisziplinen werden hier gebraucht?

von der Gablentz: An erster Stelle stehen Lebensmitteltechnolog*innen, die sich gegebenenfalls noch auf Getränketechnologie spezialisiert haben. In der Anlagenherstellung werden meistens Maschinenbauer*innen gebraucht, aber auch Lebensmitteltechnolog*innen. Hinzu kommen Wirtschaftsingenieur*innen, die dafür sorgen, dass Herstellung und Abfüllung so wirtschaftlich wie möglich ablaufen.

VDI: Wie groß ist hier der Bedarf aktuell und perspektivisch?

von der Gablentz: Der Bedarf ist sehr hoch und Anforderungen sowie Fachwissen werden immer komplexer. Allerdings ist das Einstiegsgehalt mit unter 40.000 Euro nicht sonderlich hoch. Dafür sind Entwicklungspotenzial und Karrierechancen in den Betrieben umso größer, auch mit entsprechenden Gehaltssteigerungen. Wer bereit ist, beispielsweise für Anlageninbetriebnahmen um die Welt zu reisen, der steigt übrigens mit einem deutlich höheren Gehalt ein.

VDI: Was sind die zukünftigen Herausforderungen in der Getränkeindustrie?

von der Gablentz: Die Getränke-Vielfalt wird immer größer und die Chargen kleiner. Die Hersteller füllen nicht mehr Millionen von Litern eines Produkts ab, sondern wechseln zwischen verschiedenen Getränken. Sie müssen deswegen anders denken, planen und reinigen. Manche Betriebe produzieren eine Sorte nur noch für zwei Stunden, bevor sie zum nächsten Produkt wechseln. Dadurch erhöht sich die für die Reinigung benötigte Zeit. Es gilt also mehr denn je, clever zu planen, um wirtschaftlich zu bleiben.

Die Produkte werden außerdem sensibler, da sie immer weniger Konservierungsstoffe enthalten. Das erhöht die Anforderungen an die Produktion. Immer mehr Allergien und Unverträglichkeiten beeinflussen Herstellung und Abfüllung zusätzlich: Viele Produkte müssen frei von bestimmten Allergenen sein und Kreuzkontaminationen ausschließen.

VDI: Welche Trends zeichnen sich ab?

von der Gablentz: Beim hygienischen Design wurden in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, so dass immer größere Bereiche der Anlagen automatisiert gereinigt werden können. Ein Ziel für die Zukunft ist die parametrisierte Freigabe im Sinne von Industrie 4.0. Das Prinzip: Sensoren messen die Produktparameter kontinuierlich und in kurzen Intervallen. Darauf basierend ziehen sie Rückschlüsse auf die Qualität. Hier versprechen weiche Methoden der künstlichen Intelligenz (maschinelles Lernen) gute Verbesserungspotenziale nutzbar zu machen, die bisher noch nicht in Abfüllungs- und Herstellungsprozesse integriert sind.

VDI: Wie trägt der VDI zur Weiterentwicklung der Getränkeindustrie bei?

von der Gablentz: Neben der Richtlinienerstellung begleitet der VDI entsprechende Forschungsprojekte als Projektträger, zum Beispiel an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Hier ist der VDI Ansprechpartner für anwendungsorientierte Forschung – in der Regel in Kooperation mit Betrieben und der Hochschule. Hier geht es um Anwendungen, die den Betrieben technischen Vorsprung bieten und den Standort Deutschland sowie Europa nachhaltig als Technologieanbieter und Produzent sichern.

VDI: Was ist Ihnen sonst noch wichtig?

von der Gablentz: Deutlich zu machen, dass der Getränkesektor eine faszinierende Branche ist, die weitaus vielfältiger ist, als man erwartet. Ich kann nur dazu ermuntern, sich diese Branche genauer anzusehen. In Studium und Beruf gibt es unterschiedlichste Schwerpunkte und Jobs, in denen man sich verwirklichen kann. Für mich ist auch immer spannend, welche neuen Produkte auf den Markt kommen und wohin sich die Branche entwickelt.

Herr von der Gablentz, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Thomas Kresser.

Fachlicher Ansprechpartner:
VDI-Fachbereich Verfahrenstechnische Prozesse 

Dr. Martin Follmann
E-Mail: follmann@vdi.de


Die Richtlinienreihe VDI 4066

Die Richtlinienreihe VDI 4066 beschreibt den Stand der Technik rund um keimfreie bzw. keimarme Abfüllverfahren in der Getränke- und der Molkereiindustrie. In dieser Reihe sind mittlerweile fünf Richtlinienblätter erschienen. Blatt 1 und Blatt 4 geben als Grundlagen-Richtlinien einen Handlungsleitfaden für die Planung, die Errichtung und den Betrieb von Abfüllanlagen, wobei das Blatt 1 allgemein für Getränke wie Säfte, Teegetränke und Biermischgetränke gilt und das Blatt 4 die speziellen Anforderungen von Milch- und Molkereiprodukten behandelt. Das Blatt 3 befasst sich mit mikrobiologischen Funktionsprüfungen und das Blatt 2 definiert die Rahmenbedingungen für die Durchführung von Hygieneschulungen. Das voraussichtlich im Juli 2020 erscheinende Blatt 5 bietet eine umfassende Anleitung für die analytische Prozesskontrolle.

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