Von der Idee zum Geschäftsmodell in einer Woche

Der Nordhessische Bezirksverein des VDI besteht seit 140 Jahren. Zwischen Kassel im Norden und Fulda im Süden sind dem Bezirksverein rund 1.800 Mitglieder zugeordnet. Seit dem Jahr 2020 hat sich im Nordhessischen Bezirksverein etwas entwickelt, was ihn in der Landschaft der regionalen VDI-Gliederungen einzigartig macht.
Wir sind Gründung!
In der geografischen Mitte Deutschlands liegt die Region Nordhessen - ein idealer Gründungsstandort. Mit dem Kassel Institute for Sustainability der Universität Kassel und zahlreichen Unternehmen, die im Bereich Nachhaltigkeit tätig sind, schlummert dort ein großes Potenzial grüner Technologie-Ideen. Der Nordhessische Bezirksverein hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Potenzial zu heben und junge Menschen für Unternehmensgründungen zu motivieren und befähigen. Oder, wie es der Bezirksverein selbst nennt: ein „Ökosystem für nachhaltige Tech-Gründungen“ zu schaffen. Dazu kooperiert er seit 2020 mit der IHK Kassel Marburg, der Wirtschaftsförderung der Stadt Kassel, dem Investorenclub Nordhessen, der Kasseler Sparkasse und der Universität Kassel. Trotz oder gerade wegen der widrigen Umstände fällt im Herbst des ersten Corona-Jahres der Startschuss für die sogenannten Startup Hacks.
Hochschule für Nachhaltigkeit: Das Kassel Institute for Sustainability
Der ehemalige Vorsitzende des Nordhessischen Bezirksvereins, Prof. Dr. Jens Hesselbach, heute stellvertretender Bezirksvereinsvorsitzender, lehrt selbst an der Universität Kassel. Sein Fachgebiet „Umweltgerechte Produkte und Prozesse (upp)“ beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Klimaschutz und Klimaanpassung.
Die Universität Kassel setzt seit ihrer Gründung vor gut 50 Jahren auf gesellschafts-, umwelt- und nachhaltigkeitsbezogene Disziplinen, die heute im Kassel Institute for Sustainability gebündelt sind. Doch Jens Hesselbach ist nicht nur Hochschulprofessor, er kommt auch aus der Welt der Unternehmensgründer: Sehr erfolgreich, denn eines seiner (mit-)gegründeten Unternehmen, die Limón GmbH, ist im Bereich Energie, Klima und Nachhaltigkeit tätig und beschäftigt heute rund 100 Mitarbeitende an neun Standorten in Deutschland.
„Vor ein paar Jahren habe ich mich gefragt: Warum machen wir nicht mehr aus dem, was wir zum Thema Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Energieeffizienz erarbeitet haben“, erinnert sich Hesselbach.
Die Idee war geboren, junge Menschen zu motivieren, selbst ein Unternehmen zu gründen, um genau diese Themen in die Gesellschaft zu tragen. „Das war der Plan, und dann kam Corona. Als wir im Herbst 2020 mitten im Corona-Blues waren, hat es uns gepackt und wir waren uns einig: Jetzt erst recht!“. „Wir“, das ist ein Team von vier Ehrenamtlichen aus dem Nordhessischen Bezirksverein: Neben Jens Hesselbach sind das Mark Junge, zuletzt Vorsitzender des Nordhessischen Bezirksvereins, der amtierende Schriftführer Tobias Heidrich, Gründungsverantwortlicher an der IHK Kassel-Marburg und Schatzmeister Leon Engelmeyer, hauptberuflich mittelständischer Unternehmer. Unterstützt werden die vier von Stefan Rötzel, Innovations- und Gründercoach im Science Park Kassel.
Startup Hacks: Von der Idee zum Geschäftsmodell in einer Woche

Jens Hesselbach, Leon Engelmeyer
Gesagt, getan: Sie organisieren den ersten Startup Hack „2 Grad - Klimaschutz als Jobmotor“. Dabei nutzen die Fünf die Strukturen des Bezirksvereins und der Universität Kassel und holen über Tobias Heidrich die IHK Kassel-Marburg mit ins Boot. Die Werbung läuft über die Universität, die IHK und die regionale Presse. Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung bekommen Interessierte über die Website des startuphack-nordhessen.de.
In einer digitalen Challenge geht es um die besten Geschäftsideen, die helfen, das Klimaziel einzuhalten. Ein Hack dauert eine Woche, zehn bis zwölf Teams mit 30 bis 40 Teilnehmenden sind dabei. Die Teams bestehen überwiegend aus Studierenden der Ingenieurwissenschaften, die bisher noch keine Berührungspunkte mit Geschäftsideen und Unternehmensgründungen hatten. Ausgehend von elf thematischen Challenges, wie beispielsweise Geschäftsmodelle für klimaneutrale Lebensmittel und Gerichte, nachhaltige Verpackungen oder Smarte Mobilitätsangebote starten die Teams in den Ideenfindungsprozess.
Unterstützt von erfahrenen Coaches präsentieren sie ihre Ideen am Ende vor einer hochkarätigen Jury aus erfahrenen Gründerinnen und Gründern sowie Persönlichkeiten aus der Finanzwelt. Das Gewinnerteam erhält einen Geldpreis und ein kostenloses Coaching.
Aber auch alle anderen Teams, die nach dem Hack weiter in Richtung Gründung arbeiten wollen, werden umfassend unterstützt: sei es mental, fachlich oder mit geeigneten Räumlichkeiten. Im Science Park auf dem Gelände der Universität Kasse finden sie eine erste Heimat, können temporär Räume mit IT-Infrastruktur nutzen, und bleiben solange, bis sie dort herauswachsen und einen eigenen Standort suchen.
„Nach dem ersten Hack im Jahr 2020 waren wir uns einig: das machen wir nochmal!“, sagt Hesselbach, „2021 natürlich am liebsten in Teilpräsenz, aber da standen weiterhin die Corona-Auflagen dagegen, und so haben wir uns nochmal für die gleich Struktur entschieden“. Wiederum unter dem Motto „2 Grad - Klimaschutz als Jobmotor“ läuft es beim zweiten Mal schon runder und die fünf Initiatoren beschließen, den Hack auf eine breitere Basis zu stellen und zu verstetigen.
Nachhaltige Geschäftsideen als grüner Zellkern für Unternehmen
Beim dritten Hack im Jahr 2022 gesellen sich zu den Newcomer-Teams, also denen, die noch keine Gründungserfahrung haben, die Boot Camp-Teams, wie Hesselbach sie nennt. Das sind Teams, die schon konkrete Gründungsideen verfolgen oder sich gerade im Gründungsprozess befinden.
Inzwischen gibt es noch eine weitere Gruppe: die Transformierenden. Das sind Teams, die in bestehende Unternehmen gehen und dort ihre nachhaltigen Geschäftsideen sozusagen als grünen Zellkern implantieren: Die Unternehmen werden dabei in ihren Prozessen und Produkten hin zu mehr Nachhaltigkeit transformiert. Gleichzeitig wird so die Unternehmensnachfolge gesichert. „Denn“, betont Hesselbach, „Ingenieurinnen und Ingenieure leisten einen entscheidenden Beitrag zur Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit. Das muss stärker in den gesellschaftlichen Fokus gerückt werden.“

Tobias Paetzold, Seda Rabe, Janik Rabe
Zehn Neu-Gründungen aus fünf Startup Hacks
Insgesamt werden zwischen 2020 und 2024 vierundzwanzig neue und bestehende Startups erfolgreich ermutigt und vorangetrieben, ihr Geschäftsmodell stufenweise weiter auszubauen. Unter anderem:
- Foodbot-KI Ernährungsberatung Gewinner des Startup Hack im Herbst 2023 als „Bestes Newcomer-Team“,
- Shards, ein Unternehmen, das Design-Fliesen aus Bauschutt herstellt und damit komplett auf Primärrohstoffe verzichtet,
- Veli, das das Leben vor allem älterer Menschen sicherer macht. KI-basiert werden Strom- und Wasserverbrauch analysiert und so Gefahrensituationen, wie Stürze oder vergessene Herdplatten zuverlässig erkannt und gemeldet - schnell, präzise und diskret, und
- Larabicus – abgeleitet vom lateinischen Namen des Putzerfisches. Das Unternehmen entwickelt Roboter, die den Rumpf von Schiffen während der Fahrt von Bewuchs befreien. Lange Liegezeiten gehören damit der Vergangenheit an und der Treibstoffverbrauch wird gesenkt.
Die Erfolgsquote bei den nachhaltigen Gründungen liegt damit bei etwa 37 Prozent - darauf sind die Initiatoren der Startup Hacks zu Recht stolz. Diese Zahl zeigt, dass sie das passende Ökosystem geschaffen haben.
Ökosystem für Tech-Gründungen
Doch was genau macht das Ökosystem für nachhaltige Gründungen in Nordhessen aus?
- An erster Stelle die Universität Kassel. Sie setzt mit ihrem Kassel Institute for Sustainability den Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit, ist aber andererseits auch eine Gründerhochschule. In den Räumlichkeiten und Laboren des angegliederten Science Parks gibt es genügend Platz, um Ideen gedeihen zu lassen.
- Dann braucht es Kümmerer, die den Gründerinnen und Gründern mit Rat und Tat zur Seite stehen: Coaches also aus verschiedenen Fachgebieten, wie Technik, Finanzen, Präsentation und Akquise. Diese Coaches sind gut vernetzt, nahbar und niederschwellig zu erreichen, wenn es darauf ankommt.
- Und natürlich darf eine entsprechende finanzielle Grundlage nicht fehlen. Für die Jahre 2022 und 2023 ist die VDI-Hauptgeschäftsstelle mit insgesamt 100.000 Euro Projektmitteln dabei. Nach und nach kommen als Förderer die Stadt Kassel, die Wirtschaftsförderung der Region Kassel, die Kasseler Sparkasse, die IHK Kassel-Marburg und der Investorenclub Nordhessen als Förderer hinzu. Mit Distr@l, einem Förderprogramm des Landes Hessen, werden insbesondere digitale Gründungsprojekte unterschiedlicher Reife gefördert. Da es bei den Gründungen meist um die Kombination von Nachhaltigkeit und digitalem Ansatz geht, können Hesselbach und seine Kollegen sie dort gut platzieren.
„Die Idee ist zu einem erfolgreichen Baustein der Nordhessischen Wirtschaft geworden“
„Inzwischen sind wir weit über den Projektstatus hinaus“, sagt Hesselbach, „die ursprüngliche Idee hat sich verselbständigt und ist zu einem erfolgreichen Baustein der nordhessischen Wirtschaft geworden, zum Teil auch über die Grenzen hinweg“. Allerdings räumt Hesselbach ein, sei der zeitliche Aufwand inzwischen zu groß geworden. Im Februar 2025 wird deshalb die Deck4gGmbH gegründet, die ihren Sitz im Neubau der Kasseler Sparkasse hat. Hier sollen künftig die weiteren Startup Hacks stattfinden. Außerdem sind Informationsveranstaltungen rund um die Existenzgründung und Zertifikatslehrgänge „Nachhaltigkeitsmanagement“ in Zusammenarbeit mit der IHK und der Kasseler Sparkasse geplant. Das bringt Einnahmen und der Nordhessische Bezirksverein kann sich finanziell und organisatorisch etwas zurückziehen, so wie es beim Projektstart im Jahr 2020 vorgesehen war.
Langweilig wird es dem Bezirksvereins-Vorstand allerdings kaum werden: Die Arbeitskreise, Bezirksgruppen und vor allem das Netzwerk der VDI Young Engineers warten dringend darauf, reaktiviert zu werden.
Autorin: Alice Quack
Ansprechpartner im Nordhessischen Bezirksverein
Prof. Dr.-Ing. Jens Hesselbach
Stellv. Vorsitzender VDI Nordhessischer Bezirksverein e.V.
c/o Universität Kassel, Fachbereich Maschinenbau,
Institut für Produktionstechnik und Logistik
E-Mail: hesselbach@upp-kassel.de
Ansprechpartner im VDI
Dipl.-Ing. Thomas Terhorst
Bereichsleiter Regionen und Netzwerke
E-Mail: terhorst@vdi.de