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Jahresauftaktveranstaltung des VDI Landesverbandes

Prof. Wiedemann bei der Eröffnung (Foto: VDI / Rübsam)
Prof. Dr. Wiesmeth (Foto: VDI / Rübsam)

Am 26. Januar 2023 konnten nach 3jähriger coronabedingter Pause rund 90 Gäste zum Neujahrsempfang des VDI Landesverbandes Sachsen begrüßt werden. Unter den Ehrengästen begrüßte der Landesvorsitzende Prof. Dr. Thomas Wiedemann besonders herzlich den Gastreferenten des Abends, Herrn Prof. Dr. Hans Wiesmeth, Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, weiterhin die Vertreter des SMWK und des SMK, den Präsidenten der Ingenieurkammer Sachsen, die Rektoren der Hochschule Zittau/Görlitz, der Westsächsischen Hochschule Zwickau, und der Hochschule Mittweida, sowie die Rektorin der HTW Dresden, den Präsidenten der Berufsakademie Sachsen, Vertreter der VDI/VDE-IT GmbH, Vorstände der Partnervereine des VDI, so des VDE, des VBI, der SES, der Kerntechnischen Gesellschaft, des LJBW und die Direktoren der Technischen Sammlungen Dresden und des Verkehrsmuseum Dresden, sowie die VDI Vorstände und Arbeitskreisleiter aus den Bezirksvereinen in Sachsen. Verbunden mit einem großen Dankeschön für die Unterstützung konnten die Fördernden Unternehmen DEKRA e.V. sowie Lesker GmbH willkommen geheißen werden.

In seiner Eröffnung gab der Landesvorsitzende einen kurzen Abriss zu den Aktivitäten des VDI in den vergangenen drei Jahren. Die Umstellung auf virtuelle Angebote war sehr erfolgreich, wird aber die Präsenz-Veranstaltungen nicht vollständig ersetzen können. Bereits Mitte 2021 fanden die ersten Veranstaltungen in Präsenz wieder statt, in 2022 der Sächsische Ingenieurtag als wichtigste Veranstaltung des Landesverbandes. Als Schwerpunkte der Arbeit des VDI in Sachsen erläuterte Prof. Wiedemann neben den Fachveranstaltungen die verstärkte Gewinnung junger Menschen für ein Ingenieurstudium. Dass hier ein zeitiger Ansatz bereits im Schulalter erforderlich ist, ist selbstverständlich. Der Landesverband wird hier den engen Schulterschluss zu den Lehrerinnen und Lehrern, den Hochschulen und den Ministerien SMK und SMWK pflegen, um jungen Menschen für den Ingenieurberuf zu begeistern und sie auf dem Weg zu unterstützen. Der jährliche Besuch der Messe „KarriereStart“ mit einem Gemeinschaftsstand mit der Ingenieurkammer Sachsen, die Unterstützung der VDIni-Clubs und der VDI Zukunftspiloten sowie die Gründung von 3 TechnoTheken in Sachsen gehören auch dazu.

Kritisch äußerte sich der Landesvorsitzende zur öffentlichen Diskussionskultur.  „Ich glaube, wir müssen wieder mehr allumfassend analysieren, dies besser kommunizieren und die Folgen bedenken – schon weit im Vorfeld neuer Gesetzgebungen. Es treibt mich die Sorge um, dass immer mehr technische Fragen und Probleme in der Presse und der sich anschließenden gesellschaftlichen Diskussion nur sehr verkürzt dargestellt werden.“ Eine Technologieoffenheit, wie oft beschworen, sei ebenfalls in vielen Bereichen nicht mehr in der politischen wie öffentlichen Diskussion zu beobachten, so Prof. Wiedemann weiter. „Wir als größter Ingenieurverein in Westeuropa wollen uns aktiv in die Gestaltung dieser komplexen Herausforderungen einbringen. Denn die Entwicklung und exzellente Beherrschung von Naturwissenschaft und Technik ist die eigentliche Grundlage unseres Wohlstandes – leider wird dies allzu oft nicht mehr genügend öffentlich dargestellt. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten!“, schloss Prof. Wiedemann seine Eröffnungsrede und leitete zum Gastvortrag des Abends mit Herrn Professor Wiesmeth über.

Prof. Dr. Hans Wiesmeth, Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, eröffnete seinen Vortrag zum Thema „Klimapolitik in schwierigen Zeiten – Herausforderungen und Chancen“ mit der Frage, warum die globale Reduktion von CO2 seit Jahren und trotz aller öffentlichen Bekundungen von Kyoto über Paris bis Scharm el-Scheich nicht vorankommt und welche Ursachen aus Sicht eines Volkswirtschaftlers identifizierbar sind.

Obwohl es in den westlichen Ländern, allen voran den USA, aber auch der EU, erkennbar zu einer Abkopplung von Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen kommt, sind deutliche globale CO2-Reduktionen nur kurzzeitig bei politischen bzw. ökonomischen Krisen nachweisbar. Es liegt die Schlussfolgerung nahe, dass umweltpolitische Rahmenbedingungen und Vorgaben offenbar global gesehen an ihre Grenzen stoßen und keine erkennbaren Effekte hinterlassen. Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich daraus für Deutschland?

Als Basis für die weiteren Betrachtungen bietet sich das Konzept der Kreislaufwirtschaft an. Unternehmen sind angehalten, abfallarm bzw. abfallfrei zu produzieren und entstehende Abfälle zu recyceln. Dies entspricht als „Geschäftsmodell“ nur teilweise dem eigentlichen Gedanken der Nachhaltigkeit, denn Ressourcen sind endlich und Umweltgüter (saubere Luft, sauberes Wasser, Naturschutz, Schutz der Artenvielfalt usw.) sind in diese Art der Betrachtung als Geschäftsmodell oft nicht mit einbezogen. Es besteht gelegentlich die Meinung: Die Unternehmen werden diese Ansprüche schon irgendwie erfüllen, was aber zumeist nur ungenügend realisiert wird. Wichtig ist jedoch die Berücksichtigung dieser Umweltgüter in den ökonomischen Betrachtungen und weiterführenden Entscheidungen, um die beschränkte Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen und die ebenfalls beschränkte Assimilationsfähigkeit der Umwelt für Abfälle aller Art (fest, flüssig, gasförmig) angemessen zu berücksichtigen, um die grundlegenden Funktionen der Umwelt aufrechtzuerhalten. Dies betrifft demnach auch die Emission von Treibhausgasen.

Eine wichtige Frage ist zunächst, ob eine so beschriebene Kreislaufwirtschaft quasi von selbst entsteht bzw., welche Faktoren sie befördern und welche Faktoren sie eher behindern werden. Die Analysen im Kontext der Treibhausgasemissionen zeigen kein einheitliches Bild, denn die Komplexität der individuellen, wirtschaftlichen und staatlichen Entscheidungen ist hoch und: Einzelentscheidungen sind oft individuell gut begründbar, also individuell „rational“, aber eben nicht notwendigerweise in der Gesamtheit dem Umweltschutz dienlich. Beispiel: Obwohl allen gesellschaftlichen Akteuren das Wissen um den Klimawandel weitgehend seit Jahrzehnten bekannt ist, haben Unternehmen offenbar nicht genügend Motivation, im ausreichenden Maße klimafreundlichere Technologien anzuwenden. Obwohl jedem Konsumenten klar ist, dass die Umstellung auf regenerativ erzeugte Energien notwendig ist, werden Windparks und Stromtrassen verhindert. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Es ist also einzuschätzen: einer „selbstlaufenden“ Implementierung der Kreislaufwirtschaft auf diesem Gebiet sind Grenzen gesetzt – und das im persönlichen, im regionalen und nationalen wie auch im internationalen Geschehen.

Prof. Wiesmeth erläuterte dieses Verhalten anhand des sog. „Gefangenendilemma“: Dem persönlichen oder auch gesamtgesellschaftlichen Aufwand für den Klimaschutz steht ein meist geringer direkter Ertrag gegenüber - vielmehr profitiert man von den Aktivitäten anderer, was die eigene Motivation weiter sinken lässt. Hinzu kommen im Moment auch gravierende Änderungen der äußeren Rahmenbedingungen (Folgen der Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine, Inflation, Energieknappheit u.a.), die zu einer Verschiebung ökonomischer Entscheidungen eher weg von Klimaschutzmaßnahmen führt.

Die Folgen des Klimawandels werden voraussichtlich jedoch viel schneller voranschreiten als eine „natürliche“ Implementierung der Kreislaufwirtschaft, somit werden weiterführende Schritte erforderlich. Die bisher getroffenen Maßnahmen lassen sich wie folgt einordnen:

Erstens werden höhere Energiepreise, etwa durch eine CO2-Steuer oder Klimazertifikate, aufgrund ihrer direkten Rückkopplung Unternehmen zur Energieeffizienz und Haushalte zum Energiesparen motivieren und den „emotionalen“ Abstand zu regenerativ erzeugter Energie mindern. Aber die Risiken liegen in einer steigenden Abwanderungsbereitschaft der Unternehmen, in drohenden sozialen Problemen, in sog. Rebound-Effekten und in einer eher geringen globalen Wirksamkeit. Zweitens werden Verbote bestimmter Technologien und Produkte zwar umweltfreundliche Effekte haben, diese können aber die Entwicklung einer ggf. technisch besseren und umweltfreundlicheren Alternative verhindern und es drohen möglicherweise neue Abhängigkeiten, z.B. von bestimmten Rohstoffmärkten. Wie in der Vergangenheit und bis jetzt zu beobachten, führt die dritte Gruppe von Maßnahmen, das angekündigte und ständig wiederholte Verschärfen von Umweltstandards, durchaus zu einer spürbaren Verminderung von Emissionen, jedoch sind bei übertriebenen Forderungen auch Betrügereien nicht auszuschließen (Beispiel „Dieselskandal“). Hier könnten, zumindest unter bestimmten Voraussetzungen, besser öffentliche Forschungseinrichtungen in die Standardsetzung eingebunden werden.

Diese nationalen Maßnahmen haben in der Vergangenheit zu Effekten geführt und sollten, angepasst an die gegenwärtigen Rahmenbedingungen, weiterentwickelt werden. Prof. Wiesmeth wies jedoch auf die Notwendigkeit von Maßnahmen mit einer besseren direkten Rückkopplung hin, um die Motivation für das eigene Verhalten und das der Unternehmen, innovative Alternativen zu entwickeln und anzuwenden, zu verbessern. Die Möglichkeit der Adaption an die Klimaänderungen bietet eine solche Möglichkeit, rückt aber das Ziel der eigentlich notwendigen Reduzierung der Treibhausgasemissionen ein Stück weit in den Hintergrund.

Im internationalen Kontext sieht Wiesmeth die beschriebenen Folgen des „Gefangenendilemma“ durch intensivere Verhandlungen weiter verbesserbar, dabei sind die historischen Fakten zu beachten (34,5% der CO2-Emissionen seit 1850 gehen zu Lasten der G7-Länder). Ein für die Zukunft nicht auszuschließender Nachfragerückgang für fossile Energieträger verbunden mit niedrigeren Weltmarktpreisen liefert einen Anreiz, gegenwärtig eher mehr Gas und Öl zu fördern (siehe Modell von Hotelling) – hier brauchen wir nach wie vor Anstrengungen für innovative Entwicklungen, um fossile Energieträger alternativ zu verwenden, nicht nur als Treibhausgase emittierende Brennstoffe. Die internationalen Rahmenbedingungen ändern sich ebenfalls ständig, auch darauf muss geachtet werden.

Klar ist aber auch: ohne die großen Emittenten im Boot zu haben, wird es keine signifikanten Fortschritte geben, auch wenn Deutschland eine Vorreiterrolle innehaben muss und wird. Da es keine „Weltregierung“ in der internationalen Staatengemeinschaft auf dem Gebiet des Klimaschutzes gibt, können die Länder, insbesondere die mit hohen Emissionen nicht direkt verpflichtet werden, diese zu mindern. Auch müssen diese Länder aus jetziger Sicht kaum mit Sanktionen rechnen, so dass die Diskussion auf internationaler Ebene zu sehr auf freiwillige Maßnahmen angewiesen ist. In Hinblick auf die derzeitige Diskussion in der G7 über die Einrichtung eines Klimaklubs mit internationalem Handel als grundliegendem Instrument wäre es aus Sicht von Wiesmeth besser, einen „hierarchischen Klimaklub“ zu bilden – unter der Führung der G7-Staaten mit weiteren assoziierten Staaten. Die G7 haben aus Sicht der Entwicklungs- und Schwellenländer aufgrund ihrer Historie eine besondere Verpflichtung, sich an die Minderung klimaschädlicher Emissionen zu halten und entsprechende Technologien zu entwickeln. Diese Vorreiterrolle können die G7-Länder aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke erfüllen und dabei jene Länder unterstützen, die zu einer Assoziation bereit sind, so z.B. mit Sonderkonditionen für klimaschonende Technologien.

Wie aus dem Vortrag deutlich wurde, ist die Problematik komplex. Einen „goldenen Weg“ wird es nicht geben, wohl aber die gemeinsamen Anstrengungen aller im Bewusstsein, dass wir schneller und effektiver die zur Verfügung stehenden Mittel und Maßnahmen einsetzen müssen, um den Klimawandel zu bremsen oder zumindest geeignete Maßnahmen für die Adaption an die zu erwartenden Klimaänderungen zu treffen. Für Deutschland besteht die Chance, sich in vielfältiger Weise mit Innovationen effektiv in diese Aufgabe einzubringen.

Die angeregte Diskussion zeigte die Vielfältigkeit der Problemstellungen. Professor Wiedemann dankte dem Referenten für seine Ausführungen. Der Abend klang bei einem gemeinsamen Abendimbiss aus.

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