Die Welt ein Stückchen besser machen
Jedes Jahr vergeben der VDI und die Dr. Wilhelmy-Stiftung gemeinsam einen Preis für junge Nachwuchswissenschaftlerinnen in den Ingenieurwissenschaften, deren herausragende Dissertationen eine hohe Bedeutung für die Wissenschaft und den Technikstandort Deutschland haben. Eine Preisträgerin 2021 ist Dr.-Ing. Heide Ackerbauer von der Leibniz Universität Hannover. Sie ist in der Bauphysik neue Wege gegangen und hat mit ihrer prämierten Dissertation einen Vorschlag zur „Vorhersage feuchteinduzierter Bewuchs-Entwicklung auf Außenwandoberflächen" geliefert.
Sie sind Bauingenieurin mit dem Schwerpunkt Bauphysik. War Ihnen diese Richtung früh klar?
Heide Ackerbauer: Für mich war das Thema immer schon recht groß: Ich bin quasi in das Thema reingeboren worden, als eine Förstertochter, also ein echtes Kind vom Lande. Meine Schwester und ich waren viel draußen im Wald und unsere Eltern haben unsere Naturverbundenheit, die Neugier und unser technisches Verständnis sehr gefördert. Als ich etwa 12 war, haben mein Eltern beschlossen, ein Holzhaus zu bauen. Wir haben vom Entwurf bis zum letzten Dachziegel alles selbst geplant und gebaut (Bauzeit 6 Jahre). Nachhaltigkeit und Energieeffizienz sowie sämtliche Autarkiethemen spielten natürlich eine zentrale Rolle und haben mein Bewusstsein für möglichst umweltpositives Bauen sehr früh gefördert.
"Ingenieurtechnische Lösungen zu entwickeln ist unglaublich bereichernd und motivierend"
Die Studienwahl wurde dadurch natürlich stark beeinflusst. Der Schwerpunkt Bauphysik und nachhaltiges Bauen war eigentlich vorgezeichnet. Selbst meine Abschlussarbeit an der Uni drehte sich dann um eine Windenergieanlage aus Holz. Der Stellenwert der Nachhaltigkeitsaspekte auf allen Ebenen unseres Lebens ist für mich genauso tragisch wie erfreulich. In meinem Fachgebiet eine Möglichkeit zu bekommen, durch wissenschaftliche Arbeit ingenieurtechnische Lösungen zu entwickeln ist unglaublich bereichernd und motivierend.
Das bedeutet aber nicht, dass man unbedingt eine naturverbundene und technikaffine Kindheit braucht, um Bauingenieurin im Bereich Bauphysik zu werden. Vielleicht hätte ich mich nicht getraut, wenn ich nicht gewusst hätte „Ich kann bauen!“ Seither begleiten mich Nachhaltiges Bauen und das Baumaterial Holz.
Wie sind Sie darauf gekommen, sich den Bewuchs der Gebäude so genau anzusehen?
Als Bauphysikschaffende beschäftigt uns zu einem großen Teil bei der Planung von Gebäuden, wie man die thermische Gebäudehülle möglichst energieeffizient auslegt. Ziel hierbei ist es immer, ein hohes Dämmniveau zu erreichen. Mit Blick auf die Energiewende und die aktuelle Debatte um ressourcenschonenden Energieverbrauch kommt energetischer Gebäudeplanung im Neubau und im Bestand heute eine Schlüsselrolle zu.
Als Nebeneffekt gut gedämmter Außenwandkonstruktionen tritt sehr häufig der Fall ein, dass mikrobieller Bewuchs auf deren Oberfläche durch grünlich, gräulich oder bräunlich-rote Verfärbungen zu beobachten ist. Auch wenn das eigentlich nicht weiter schlimm ist und eigentlich nur zeigt, dass das Feuchteniveau aufgrund der gewünscht hohen Dämmwirkung an der Außenoberfläche hoch ist, empfinden das Menschen mindestens als optisch störend. Hierdurch entstehen zwei Negativeffekte:
- Die Entscheidung für eine energetische Sanierung der Gebäudehülle wird erst gar nicht getroffen.
- Eine übliche Vermeidungsstrategie von mikrobiellem Bewuchs ist die Beimengung von bio- und algiziden Wirkstoffen in die in der Oberfläche verarbeiteten Materialien. Diese Wirkstoffe waschen sich mit der Zeit aus und landen in der Umwelt, Wasser und Böden.
Darüber hinaus ist in der Baurechtspraxis noch nicht eindeutig geklärt, ob es sich um einen baulichen Mangel handelt, wenn Algen und Pilze an der Fassade auftreten. Bevor ich das Dissertationsthema gefunden hatte, bin ich in meiner praktischen Zeit in einem Ingenieurbüro in Berlin mit dieser Frage konfrontiert gewesen. Ich kannte die Antwort nicht.
"Wir haben eine Berufsehre zu verteidigen"
Aus meiner Sicht konnte es nicht sein, dass man aus optischen Gründen auf Dämmmaßnahmen verzichtet. Oder dass wenn man energieeffizient bauen möchte und entsprechend gut dämmt, durch Vermeidung dieser optischen Beeinträchtigung, wiederum die Umwelt schädigt. An dieser Stelle konterkariert der Klimaschutz den Umweltschutz, wenn wir nicht andere Lösungswege gehen. Ich fand das blöd! Und dachte, warum hat uns Wissenschaftler*innen oder Bauphysiker*innen keiner nach einer ingenieurmäßigen Lösung gefragt? Wir müssen doch Alternativen liefern können, schließlich haben wir eine Berufsehre zu verteidigen. Ich sah es als meine ureigenste Aufgabe eine andere Lösung zu finden.
Bei der Preisverleihung an der RWTH Aachen hat mich ein Satz besonders beeindruckt: „Ärzte retten Leben. Aber auch wir Ingenieurwissenschaften sollten unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, denn wir retten die Welt.“ Sagte einer der Vortragenden. Er hat mir aus tiefem Herzen gesprochen. Das muss unsere Überzeugung sein.
Was mich dabei permanent angetrieben hat ist, dass wir auf die Zerstörung der Umwelt zusteuern. Das kann mit cleveren Konzepten und Lösungsideen aber vermieden werden. Die Ingenieurwissenschaften stehen bereit und können hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten. Wir müssen sie aber realisierbar anbieten, damit sie nicht in der wissenschaftlichen Schublade verbleiben. Als ich 2014 auf der Suche nach Unterstützung und Fördermitteln war, haben die Unternehmen und auch öffentliche Fördermittelgeber zunächst leider abgewunken. Sie sahen damals keine Notwendigkeit. Ich denke, das wäre heute anders. Damals hat mich das aber noch mehr angespornt, mich dem Thema der umweltfreundlichen Vermeidung von mikrobiellem Bewuchs zu widmen. Ich denke, diese Themen sind heute wichtiger denn je und Lösungen entstehen nicht, wenn die Problematik voll entwickelt ist, wie wir ja leider aktuell in Zeiten der Klimakrise überall sehen können. Die frühzeitige konzentrierte Arbeit an diesem Thema ist für mich der Schlüssel zum langfristigen Erfolg.
Können Sie kurz beschreiben, worum es in Ihrer Dissertation ging und welchen Nutzen sie allgemein und unter Nachhaltigkeitsaspekten hat?
Ich wollte eine Berechnungsmethodik entwickeln, mit der es möglich ist, die für mikrobiellen Bewuchs hauptverantwortliche Feuchtigkeit an Oberflächen vorherzusagen und abzuleiten, ab wann mit Bewuchs zu rechnen ist und unterhalb welchem Feuchteniveau er vermeiden werden kann.
Bei meiner Recherche fand ich dazu keine Komplettlösung. Es gab zwar tendenzielle Ideen wie zum Beispiel wasserabweisende Putze oder die Beheizung von Fassadenoberflächen, aber nicht diesen einen Zielwert, der mir ermöglichen würde mit anderen Regelgrößen zu spielen; mit den Eigenschaften Putzoberfläche, der Dicke der Dämmung oder so, um dann einen Wandaufbau bedarfsorientiert auszulegen.
Also habe ich für mich folgende Aufgaben abgeleitet: Was für ein Parameter kann feuchteinduzierte Bewuchs-Anfälligkeit beschreiben? Wenn ich diesen Parameter gefunden habe, wo ist der Grenzwert für diese Anfälligkeit? Wenn ich diesen Grenzwert habe, wie kann ich Empfehlungen für die Baupraxis ableiten?
Zunächst habe ich über mehrere Jahre klimatische Messungen an mikrobiell bewachsenen Außenwandoberflächen durchgeführt. Parallel dazu habe ich einen Teststand entwickelt, der unterschiedliche Wandaufbauten durch variable Dämmstoff- und Putzkeilkissen abbildet. Dieser wurde exponiert und über Jahre ebenfalls klimatisch überwacht. Die Bewuchs-Entwicklung wurde mithilfe von unter anderem Fluoreszenzaufnahmen regelmäßig dokumentiert. Ziel war es hier, in dem Feuchteverhalten einer Oberfläche im Jahresverlauf mathematisch wiederkehrende Muster zu erkennen und daraus Berechnungssysteme abzuleiten.
Umweg Regenschirm
Zunächst aber stellten sich messtechnische Herausforderungen: Es war zum Beispiel nicht möglich eine Oberfläche über lange Zeit hinsichtlich der anhaftenden Feuchtigkeit zu monitoren, ohne die Oberfläche zu beschädigen. Ich musste aber wissen, wann freies Wasser für die Organismen an der Oberfläche für Wachstum zur Verfügung steht. Die Lösung fanden wir zufällig in der Mittagspause, als wir einen Kinderregenschirm entdeckten, der bei Regen die Farbe wechselte.
Das war die Lösung: Hydrochromatische Farbe, die im trockenen Zustand weiß ist und bei Kontakt mit Wasser durchsichtig wird. Ich nahm Kontakt mit dem Hersteller auf, der mir einen Eimer Farbe davon zur Verfügung stellte. Und dann begann die Bastelarbeit und die Tests: Entstanden ist ein kleiner Feuchtedetektor. Ein rot eingefärbtes Gittergewebe, bestrichen mit der hydrochromatischen Farbe erscheint zunächst im trockenen Zustand weiß und verfärbt sich bei Kontakt mit Wasser rot. Aufgebracht auf die Wandoberfläche wird bei roter Verfärbung damit eine feuchte Wandoberfläche angezeigt. Das technische Monitoring haben wir mit dafür programmierten Smartphones in wetterfesten Kästen realisiert. Zur Auswertung haben wir in Zusammenarbeit mit Bauinformatikern unserer Fakultät eine eigene Software entwickelt, mit der dann angezeigt werden konnte, wann die Wandoberfläche nass war.
So kommt man manchmal auch über Umwege wie einem einfachen Regenschirm ;-) dem Ziel ein Stück näher. Und mittlerweile ist als kleiner Nebeneffekt der Feuchtedetektor als Patent geschützt.
Der Weg zur Oberflächenfeuchteintensität
Der Datenauswertung folgte dann die Erstellung eines numerischen Modells zur Berechnung der anfallenden Oberflächenfeuchtigkeit. Natürlich habe ich das alles dann auch verifiziert.
Über das numerische Modell konnten die Feuchtezustände der über Jahre gemonitorten Objekte und des Teststands bestimmt werden. Die gesuchten mathematischen Muster habe ich damit auch finden können. Und am Ende hatte ich ihn, den einen Parameter. Die „Oberflächenfeuchteintensität“!
Sie beschreibt, wie viele Stunden am Tag eine Oberfläche im Herbst feucht ist. Anhand der Beispielobjekte habe ich dann einen durch diesen Parameter beschriebenen Grenzwert ableiten können. Damit könnte man jetzt Vermeidungsstrategien sehr gezielt entwickeln und Wandaufbauten orientiert an diesem Grenzwert so dimensionieren, damit eben gerade kein Bewuchs auftritt. Auf biozide Wirkstoffe in oberflächennahen Schichten kann so perspektivisch verzichtet werden.
Mein Ansatz war immer, die Forschung nicht nur für den Doktortitel zu machen, sondern zu forschen, um die Welt ein Stückchen besser zu machen. Ich weiß nicht, ob meine Arbeit was dazu beitragen kann, aber ich hoffe es.
Ihre Dissertation hat mehrere Preise gewonnen, hatten Sie damit gerechnet?
Nein, eher nicht. Die Arbeit hatte, wie schon erwähnt nicht von Anfang an so große Aufmerksamkeit. So war es teils eine sehr einsame Zeit. Das ist zwar ein Stückweit auch Teil einer Promotions- oder Forschungsarbeit, in seinem Kämmerchen vor sich hin zu arbeiten, mit wenig Austausch über lange Zeit. Darum ist es gerade jetzt sehr schön, dass die Arbeit nun so viel Aufmerksamkeit bekommt und das Interesse so groß ist. Der kritische Austausch auch durch die verliehenen Preise und die Gespräche drumherum motivieren unheimlich, den beschrittenen Weg richtig gegangen zu sein.
Fazit
Ich kann nur an die Entscheidungsträger in unserem Land appellieren. Wir Ingenieurinnen und Ingenieure liefern Lösungen. Sie müssen unbedingt gesehen und gefördert und umgesetzt werden. Ich wünsche mir dazu mehr Sichtbarkeit und mehr Dialog mit der politischen Ebene, damit der Transfer aus der Wissenschaft in die Praxis gelingt.
Interview: Gudrun Huneke
Der VDI und die Dr. Wilhelmy-Stiftung fördern gemeinsam junge Nachwuchswissenschaftlerinnen in den Ingenieurwissenschaften. Der mit 3.000 Euro dotierte Preis zeichnet alle zwei Jahre herausragende Dissertationen aus, die eine hohe Bedeutung für die Wissenschaft und den Technikstandort Deutschland haben. Ziel ist es, junge Talente zu fördern und den Fachkräftebedarf Deutschlands als Technikstandort langfristig zu sichern.
Über die Dr.-Wilhelmy-Stiftung
Die Dr.-Wilhelmy-Stiftung verfolgt als Stiftungszweck die Förderung von Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung, sowie Kunst und Kultur, Denkmalschutz und Denkmalpflege. Der Stiftungszweck schließt die Gewährung von Stipendien an hochbegabte Nachwuchs-Wissenschaftler*innen ein.
Ansprechpartnerin im VDI:
Kathrin Sevink
Tel. +49 (0) 211 62 14-248
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