Direkt zum Inhalt
Reportage

Ein Blick in die Zukunft: Besuch im Humanotop – der Modellstadt von morgen

Ein normaler Parkplatz, ein scheinbar übliches Gewerbegebiet: Dass wir einer innovativen Schmiede ganz nah sind, werden wir in den nächsten Minuten erleben.  „Wir gucken, was geht.“ Diese Worte schwingen auf dem Gelände des Avantis Business-Park mit. Während unseres Besuchs wird deutlich, was Dr. Achim Kampker damit meint. Grenzüberschreitende technologische Lösungen werden an der deutsch-niederländischen Grenze gelebt. 

„Ich sage immer, wir wandeln hier zwischen den Welten“ – so werden wir bei der Ankunft von Silke Dahlen, der Assistentin von Achim Kampker, begrüßt. Dass wir uns im Gebäude teilweise auf der deutschen und im nächsten Schritt auf der niederländischen Seite bewegen, wird uns physisch zwar nicht bewusst, dafür mental. Im Meeting-Raum erklärt uns Ingenieur Kampker, dass wir uns im „Herzen Europas“ befinden, bevor es mit einem Rundgang losgeht. 

Über Achim Kampker: 

Achim Kampker ist Miterfinder des in Aachen entwickelten Elektrofahrzeugs Streetscooter. Seit 2014 leitet er den von ihm gegründeten Lehrstuhl Production Engineering of E-Mobility Components (PEM) der RWTH Aachen. Doch das war ihm nicht genug: Mitte 2019 initiierte er die Gründung des Vereins Ingenieure retten die Erde.

Grenzüberschreitendes Denken

Der 20.000 Quadratmeter große Gewerbepark Avantis liegt in den Gemeinden Heerlen in den Niederlanden und Aachen in Deutschland. Zuerst zeigt uns Kampker eine Station der Velo City.

Das Projekt eines Pedelec-Sharing-Systems sei bereits vor der Gründung des Vereins „Ingenieure retten die Erde“ entstanden. Mittlerweile gibt es über 180 Stationen – grenzüberschreitend. Neue Stationen seien mit Solarzellen geplant, um das Bike aufzuladen.

Rund 20 Mitarbeitende aus Aachen befassen sich mit der Weiterentwicklung der Velo City. Dabei erklärt er das Ziel der innovativen Projekte: „Wir stellen Ideen in den Markt. Das heißt, der Verein unterstützt marktfähige Projekte.“ Diese Ideen sollen kommerziell aufgenommen werden, ergänzt er. 

Über den Verein „Ingenieure retten die Erde e.V.:

Ingenieure retten die Erde e.V. wurde 2019 von Achim Kampker gegründet. Das Ziel ist, das vorhandene technische Wissen dafür zu nutzen, um die Umwelt zu verbessern – ohne den erreichten Wohlstand der Menschen zu gefährden. Dafür wurde die grüne Modellstadt der Zukunft bei Aachen, das Humanotop, gegründet, in dem alle benötigten Ressourcen auf dem gleichen geographischen Gebiet „produziert“ werden. 

Mobilitätsangebote: „Auch andere Unternehmen können das“

Dass sich einige Ladesäulen auf dem Parkplatz befinden, verwundert bei dem Grundgedanken nicht. Das sei aber nicht immer so gewesen, denn zunächst seien die meisten Mitarbeitenden kein E-Auto gefahren.

„Durch das Angebot der Ladesäulen konnten wir das Verhältnis auf 50/50 steigern. Während der Arbeitszeit kann das Auto geladen werden.“ Zusätzlich haben Mitarbeitende die Möglichkeit einen Bus-Shuttle zu bestellen. Transfer-Optionen, die nicht jedes Unternehmen bietet. Möglich wäre das aber, sagt Kampker auf Nachfrage. „Absolut. Wir beraten auch Unternehmen zu ihren Möglichkeiten. In der GmbH hier wird auch geschaut, was sich rechnet. Die Erfahrung geben wir weiter.“ „Es gibt keine Entschuldigung es heutzutage nicht zu machen, schließlich gibt es die THG-Quote bereits seit zwei Jahren.“ so Kampker.

Die Treibhausminderungsquote (kurz THG-Quote) ist ein Mittel, um klima-schädigende Treibhausgase im Verkehrssektor zu reduzieren. Seit dem 1. Januar 2022 können Besitzer*innen von reinen Batterieautos durch die Treibhausgasminderungsquote Geld für die eingesparten CO2-Emissionen erhalten. Das gilt ebenso für E-Motorräder und E-Roller mit Zulassung.

VDI-Podcast


Modellstadt der Zukunft: Wie ein Humanotop entsteht

Podcast mit Achim Kampker.

Superfood bei Avantis

Neben Mobilität spielt Essen der Zukunft eine große Rolle im Humanotop. Daher kommen wir in den Genuss des Meeresspargels. Salzig und frisch zugleich – so dürfen Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, den Geschmack vorstellen. Und vielleicht haben Sie das sogenannte Superfood schon mal auf Ihrem Steak gekostet? Die Gastronomie ist nämlich einer der Abnehmer.

Der Park vertreibt aktuell 100-Gramm-Packungen. Gezüchtet wird das alles in einem Container. Einem Mini-Gewächshaus sozusagen. Felder sind nicht von Nöten. Neben dem Spargel sehen wir Meeresbananen, Radieschen und Brokkoli. Übrigens wachsen Meeresbananen ansonsten am Strand, am Rand der Dünen und auf den sandigen Teilen der Salzwiesen in Australien.

Das gesunde Wildgemüse ist in der gehobenen Gastronomie nicht mehr wegzudenken und bei Köch*innen und Kenner*innen eine Delikatesse. Nicht nur wegen seines speziellen Geschmacks:

Der Meeresspargel wächst in Meeresnähe und bietet eine Handvoll Mineralien und Spurenelemente, wie Natrium, Kalium, Magnesium, Calcium, Eisen, Zink, uvm. und ist eine Quelle für Jod. Wer nun aber zum nächsten Supermarkt fahren möchte, um den Meeresspargel zu kaufen, wird enttäuscht sein. Hier ist dieser noch nicht so verbreitet, da sein deutsches Hauptverbreitungsgebiet, das Wattenmeer, unter Naturschutz steht.

Doch wie wächst dieses besondere Wildgemüse eigentlich? Zwei Mal täglich zur Flut, wird er überspült und speichert die wichtigen Mineralien und Spurenelemente, die im Salzwasser enthalten sind.

Aquakultur: Wie sieht die Ernährung der Zukunft aus?

Im nächsten Container wird es lebendig. Drei Becken sind gefüllt mit kultivierten Doraden. 8 t Fisch und eine autonome Fütterung über Rohrsysteme sind hier zu sehen.

Die Stationen werden uns von den jeweiligen Projektverantwortlichen erklärt. So läuft die Marktreife der Innovationen ab. Menschen, die für ihr Thema brennen, treiben in Projektgruppen Lösungen an – der Verein unterstützt.

Im 24 Grad warmen Wasser können wir also Doraden sehen, die ausgewachsen 350 Gramm wiegen. Mit dieser Größe befinden sie sich im dritten und letzten Becken – bereit zum Fischen. Dafür hängen auch Netze parat. Nur, dass wir hier nicht auf offener See sind. Ein Biofilter macht das Betreiben möglich. 

Zur Info:
Aquakultur gilt als eine Lösung, um den immer leerer gefischten Meeren zu begegnen. Mit technischen Mitteln produziert die Branche gut die Hälfte des weltweit verspeisten Fisches. Rund 600 verschiedene Arten werden gezüchtet. Tierschutzorganisationen kritisieren das Vorgehen zum Teil und achten auf artgerechte Produktionsmethoden.
 

Schwarze Soldatenfliege als alternative Proteinquelle

Mit wuseligem Treiben ist es noch nicht zu Ende. Eine andere Gruppe aus Studierenden der RWTH Aachen befasst sich mit schwarzen Soldatenfliegen als alternative Proteinquelle.

Für den Besuch des VDI wurden extra zwei Behälter zur Ansicht bereitgestellt. Darin entpuppen sich die Fliegen. Ein durchaus interessanter Blick, der etwas Überwindung für die Fotografin kostet, um eine Nahaufnahme festzuhalten.

Zum Glück konnten wir draußen fotografisch tätig werden. Bei einem 30 Grad warmen Sommertag im September erinnert der Fliegen-Container eher an ein Tropenhaus. Das verarbeitete Mehl von Larven der Schwarzen Soldatenfliege ist äußerst proteinreich und kann in Spezialfuttermitteln als nachhaltig erzeugter Proteinersatz eingesetzt werden. Abnehmer finden sich in Afrika, aber auch in der regionalen Landwirtschaft.

Solaranlage im Park: „Wir schauen technologieoffen nach Lösungen“

Als drittes großes Thema bearbeiten die Initiatoren Energielösungen. Eine große Solaranlage auf dem Gelände soll folgen, da die Konstruktion des Daches dies nicht zulässt. „Wir schauen nach anderen Lösungen, um weiterzukommen“, sagt Kampker dazu. Ein Nein ist also noch lange nicht das Ende. 

Zudem ist er der Meinung, dass wir Brennstoffzelle und Batterie bei Nutzfahrzeugen brauchen. „Auf ein Pferd setzen, halte ich für gefährlich.“ Der Ingenieur ist ein klarer Befürworter der Technologieoffenheit. „Vor- und Nachteile gibt es bei jeder Technologie. Doch ich bin für weniger Ideologie. Besser schauen, wo passen die Techniken und dann weiterentwickeln.“ 

Am Ende des Rundgangs wird uns noch ein Nutzfahrzeug präsentiert, das zwischen 400 und 500 Kilometer Reichweite zurücklegen kann. Der Kunde ist hier Quantron. In Zukunft sollen die Lkws für das Möbelhaus IKEA fahren. 

Forschung und Erarbeitung in die Realität bringen – das treibt die Menschen im Avantis Park an. Die Leidenschaft, etwas bewegen zu wollen, zukunftsorientiert zu handeln, ist deutlich spürbar. „Technologie ist nichts Schlechtes. Es ist etwas Gutes“, sagt Achim Kampker abschließend.


Autorinnen: Sarah Janczura und Julia Rosek

 

 

Hinweis: Der Podcast „Technik aufs Ohr“ ist eine gemeinsame Produktion von VDI e.V. und ingenieur.de (VDI Verlag GmbH). Jegliche Werbung während der Podcast-Folge erfolgt ausschließlich über die VDI Verlag GmbH. Der VDI e.V. erzielt hieraus keinerlei Einnahmen.

Artikel teilen