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Prognostics and Health Management

Instandhaltung: Mit „gesunder“ Technik erhebliche Kosten vermeiden

Bild: Gorodenkof/Shutterstock.com

Technische Systeme hegen und pflegen, um sie „gesund“ zu halten: Damit Produktionsabläufe und Prozesse in der Industrie reibungslos laufen, gilt es, Maschinen und Co. vorausschauend instand zu halten. Wie „healthy“ Ihre Anlagen wirklich sind und wie sich Prognosen zum Zustand des technischen Systems treffen lassen, verrät der VDI-Statusreport „Intelligente Zustandsprognose und vorausschauende Instandhaltung“.

Wie zuverlässig ist die eingesetzte Technik, woran krankt sie bald und wie kann sie vorausschauend gesund bleiben? Mit diesen Fragen befassen sich Ingenieure und Ingenieurinnen im sogenannten Prognostics and Health Management (PHM). Die Fachdisziplin ist noch jung – aber schon heute enorm wichtig. Sie umfasst nämlich alle relevanten Themenbereiche, die für eine Zustandsbeurteilung von technischen Systemen sowie für die Vorhersage (Prognostics) der weiteren Entwicklung dieses Zustands in der nahen oder fernen Zukunft erforderlich sind.

Was ist Prognostics and Health Management?

Ursprünglich stammt die Bezeichnung „Prognostics and Health Management“ aus der Luft- und Raumfahrt. Unter diesem Überbegriff werden Vorgehensweisen, Methoden und Modelle verstanden, die die „Gesundheit“ eines technischen Systems erhalten sollen. Wichtige Kernelemente sind hierbei die Diagnose des Systemzustands und insbesondere die Prognose der weiteren Entwicklung dieses Zustands. Auf Basis dieser Informationen können Anwender die richtigen Maßnahmen zur Erhaltung der „Gesundheit“ planen und durchführen. In Deutschland ist die Begrifflichkeit Predictive Maintenance für eine vorausschauende Instandhaltung gängiger.

PHM verfolgt einen interdisziplinärer Ansatz, welcher die klassischen Bereiche Zuverlässigkeit und Statistik mit Methoden der künstlichen Intelligenz sowie der Organisation von Instandhaltungs- und Logistikprozessen verknüpft. Ziel ist es, den Ausfallzeitpunkt eines technischen Systems vorherzusehen und den Ausfall durch passende Maßnahmen zu vermeiden, zum Beispiel durch Wartung. Der Fokus liegt auf der Prognose, sprich einer Aussage über den zukünftig wahrscheinlichsten Degradationsverlauf, darunter Verschleiß, Risslänge etc.

Wie werden Prognosen zur Gesundheit technischer Systeme erstellt?

Prognosen rund um das Ausfallverhalten und die Lebensdauer von technischen Systemen bauen auf diversen Konzepten auf – je nach Zielsetzung, Menge und Informationsgehalt der verfügbaren Datensätze. Prinzipiell unterscheidet man zwischen vier Modellen:

  1. Ereignis-Zeit-Analysen: basieren in der Regel auf Ausfallverteilungen der Zuverlässigkeitstechnik
  2. Schadensakkumulation: Erweiterung der klassischen Zuverlässigkeitsanalyse
  3. Datenbasierte Prognosen: Verfahren aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz, insbesondere Deep Learning, aber auch Verfahren der klassischen Statistik kommen zum Einsatz. 
  4. Modellbasierte Prognosen: Wirkzusammenhänge zwischen Belastungsgrößen, Struktur, Zustand und Verhalten des Systems sowie der Degradationsverlauf werden modelliert.

Dank des Einsatzes von Prognoseverfahren können Ingenieure und Ingenieurinnen besser abschätzen, welche weitere Zustandsentwicklung eine Komponente durchlaufen wird. Daraus lassen sich Erkenntnisse über die verminderte Funktionsfähigkeit sowohl der Komponenten als auch des Gesamtsystems ableiten oder Vorhersagen von Ausfällen treffen.

Predictive Maintenance: Wo setzt das Health Management an?

Health Management baut auf den getroffenen Prognosen auf und umfasst alle Maßnahmen, die den funktionalen Zustand des Systems erhalten. Das erfolgt zum Beispiel in Form einer vorausschauenden Instandhaltung. Das Ziel: Die Ermöglichung optimaler Entscheidungen.

Im VDI-Statusreport „Intelligente Zustandsprognose und vorausschauende Instandhaltung - Prognostics and Health Management “ werden Methoden und Verfahren von PHM vorgestellt. Sein Ziel ist es zum einen, PHM dem Fachpublikum, den Entscheidern in der Praxis und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Zum anderen wird eine Übersicht über anwendbare Methoden und Modelle gegeben sowie die vielfältigen Potenziale von PHM-Anwendungen und Einsatzmöglichkeiten aufgezeigt.

Welche Vorteile hat PHM?

In erster Linie spart der Einsatz Kosten ein. Ungeplante Ausfälle gefährden den Betriebsablauf und ziehen in der Regel hohe Auslagen nach sich. Zuverlässig, verfügbar, instand, sicher und nachhaltig: So sollen technische Systeme sein. Damit sie es bleiben, bedarf es eines intelligenten Health Managements. Zuverlässigkeit oder Verfügbarkeit von Produktionsmitteln sind beispielsweise Kriterien, die die Lebenszykluskosten einer Leistungserbringung maßgeblich beeinflussen. Entsteht durch ein Produktionsmittel, dass die geforderte Funktionalität unerwartet nicht mehr erfüllt, ein Leistungsausfall, so führt dies zu erheblichen Mehrkosten, die sich durch eine vorausschauende Instandhaltung vermeiden lassen.

Zentrale Vorteile des Einsatzes im Überblick:

  • Reduktion der Kosten für die Instandhaltung – Komponenten können mit einem besseren Verständnis der Zustandsentwicklung gezielt länger genutzt werden, wodurch Ersatzteilkosten und Umbaukosten reduziert werden können
  • Maximierung der Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit der Anlagen sowie Optimierung der Produktionskapazitäten
  • Erhöhung der Versorgungs- und /oder Betriebssicherheit 
  • Verlängerung der Lebensdauer von Komponenten und Systemen mit dem Effekt, dass die Lebenszykluskosten gesenkt werden
  • Verbesserte Planbarkeit der Instandhaltungs- und Logistikprozesse
  • Reduktion/Vermeidung von außerplanmäßigen Stillständen
  • Kostenersparnis über den gesamten Lebenszyklus
  • Verbessertes Ersatzteilmanagement
  • Erhöhung der Nachhaltigkeit durch eine optimale Ausnutzung der vorhandenen Lebensdauer
  • Wettbewerbsvorteil durch tiefgreifendes Verständnis des Systems

Wie sieht der konkrete wirtschaftliche Nutzen aus?

PHM bietet Unternehmen eine Maximierung der Erträge sowie eine Kostenreduzierung. Komponenten können beispeilsweise mit einem besseren Verständnis der Zustandsentwicklung länger genutzt werden, wodurch sich Ersatzteilkosten und Umbaukosten reduzieren. Dies ist besonders interessant, wenn Anlagen nicht zu 100% ausgelastet sind und Instandhaltungsmaßnahmen immer durchführbar sind.

Als zweiter wirtschaftlicher Nutzen greift eine Maximierung der Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit der Anlagen. So lassen sich Produktionskapazitäten optimieren. Bei diesem Ansatz sollte darauf geachtet werden, dass zentrale Komponenten nie im Betrieb ausfallen und die Instandhaltungsmaßnahmen kombiniert umgesetzt werden, um die Anlagen möglichst nicht oder nur so kurz wie nötig außer Betrieb nehmen zu müssen.

Als dritte Option greift die Kombination der vorherhigen beiden Maßnahmen. Darüber hinaus rentiert sich Prognostics and Health Management bei den Themen Versorgungssicherheit und Betriebssicherheit. Das folgende Beispiel veranschaulicht den Einsatz in der Luftfahrt.

PHM im Bereich der Luftfahrt

Bleibt ein Flugzeug am Boden, entstehen immense Kosten, die vor allem durch die Standzeiten (Aircraft On Ground, AOG) verursacht werden. Deshalb wird angestrebt, die Verfügbarkeit stets aufrecht zu erhalten oder so früh wie möglich Risiken zu erkennen und rechtzeitige Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Vogelschlag oder andere unvorhersehbare Ereignisse können allerdings zu einer ungeplanten Wartung führen. Bei kritischen Bauteilen am Flugzeug zeichnet sich der Trend ab, voraussagend zu warten. Sogenannte Engine Health Monitoring (EHM)-Systeme überwachen alle für den Betrieb und die Regelung des Flugtriebwerks notwendigen Größen. Analysen können teils während des Fluges ausgewertet und via Satelliten übertragen werden. Der Vorteil für die Fluggesellschaft besteht darin, dass die Kosten für die Instandhaltung besser vorhersehbar und planbar sind.

Was braucht es, um PHM-Lösungen richtig einzusetzen?

Daten sind das neue Gold! Die für PHM-Lösungen verwendeten Modelle und Verfahren benötigen Daten aus den Prozessen, um die richtigen Informationen zu gewinnen und Entscheidungen ableiten zu können. Diverse Messgrößen werden erfasst, ausgewertet und beurteilt. Bei den Daten handelt es sich sowohl um Prozess-, Belastungs-, Maschinen- als auch Auftragsdaten. Diese Rohdaten werden für die nachfolgende Auswertung gefiltert und aufbereitet.

Prognostics and Health Management zahlt insgesamt auf eine automatisierte und digitalisierte Entscheidungsfindung in der Instandhaltung ab.

Welche Herausforderungen gehen mit Prognostics and Health Management einher?

In vielen Branchen sind Gesetze, Regelwerke, Sicherheitsrichtlinien und ähnliches zu beachten, die einem flexibleren Vorgehen wie mit PHM verbunden entgegenstehen können. Entscheidungen für PHM-Lösungen sind strategischer Natur und haben tiefergreifende Auswirkungen auf die Prozesse in der Organisation. Das muss gewollt und gelebt werden. Entsprechend sollten damit verbundene Investitionsentscheidungen auch im mittel- bis langfristigen Rahmen beurteilt werden. Oftmals scheitern Umsetzungen, weil sich kurzfristige Business Cases als unwirtschaftlich erweisen, längerfristige Effekte aber nicht ausreichend bewertet und berücksichtigt werden, heißt es im VDI-Statusreport. 

Der Statusreport mit vielen Fallbeispielen kann kostenfrei heruntergeladen werden.

Zum Download

Autorin:  Sarah Janczura

Fachlicher Ansprechpartner:
Dr. Andreas Herrmann
VDI-Fachbereich „Sicherheit und Zuverlässigkeit“
Telefon: +49 211 6214-445
E-Mail: gpp@vdi.de  

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