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Lösungsansätze zum Digitalen Produktpass

Transparenz als Chance für nachhaltige Geschäftsmodelle

Bild: Hinterhaus Productions via Getty Images

Im Grundsatzpapier "Mit dem Digitalen Produktpass zur Kreislaufwirtschaft" wurden im Zusammenhang mit der EU-Ökodesign-Richtlinie und dem digitalen Produktpass offene Fragestellungen und Themenfelder identifiziert. Ohne Lösungen in diesen Feldern wird der digitale Produktpass keine Wirkung entfalten und keinen Beitrag zum Aufbau einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft leisten.

Diese Themenfelder sind:

  1. Ein verändertes Kundenverhalten auf Basis der ökologischen Transparenz
  2. Der Aufbau von firmenübergreifenden, nachhaltigen, kreislauforientierten Geschäftsmodellen über den gesamten Produktlebenszyklus in Industrie und Handel
  3. Der Aufbau einer branchenübergreifenden Informations-Infrastruktur basierend auf herstellerunabhängigen Standards

Das Interdisziplinäre Gremium Digitale Transformation des VDI (IGDT) hat zu diesen Themenfeldern Lösungsansätze entwickelt, die in einzelnen Online-Artikeln vorgestellt werden. Dieser erste Artikel befasst sich mit den notwendigen Veränderungen im Kundenverhalten und den sich daraus ergebenden Geschäftschancen.

Die Diskussion um die Einführung verpflichtender Instrumente zur Transparenzsteigerung im Interesse ökologischer Nachhaltigkeit in der produzierenden Industrie werden häufig primär mit einem Fokus auf ordnungspolitische Vorgaben geführt. Die Industrie sieht diese „erzwungenen“ Nachhaltigkeitsbemühungen oftmals als Zusatzaufwand und „Kosten“. Dabei lassen sich beispielsweise Initiativen wie die breite Einführung des Digitalen Produktpasses zur Steigerung der Transparenz über die Nachhaltigkeit eines Wirtschaftsguts auch anders verstehen – nämlich als neue und sehr zeitgemäßes Mittel zur Differenzierung am Markt und als Chance für neue Geschäftsmodelle. Aber Geschäftsmodelle dienen am Ende immer einem Kundenbedürfnis.

Die aktuelle gesellschaftliche und politische Debatte lässt für die nähere Zukunft eine stärkere Bedeutung von Nachhaltigkeit für die Kaufentscheidung und das Kundenverhalten von Konsumenten erwarten. Je deutlicher die Auswirkungen des Klimawandels auch „im Kleinen“ und für den Einzelnen werden, desto größer wird die Bereitschaft, ökologische Aspekte bei der Kaufentscheidung zu berücksichtigen.

Aber was bedeutet ein verändertes Kundenverhalten im Zusammenhang mit nachhaltiger Kreislaufwirtschaft?

Ein kurzer Exkurs in die Vergangenheit: Blickt man in der Geschichte ein oder zwei Jahrhundert zurück, dann war Kreislaufwirtschaft insbesondere auf dem Land der „Normalfall“. Es gab keinen Müll und keine Müllabfuhr. Die Lebensmittel wurden selbst angebaut, teilweise noch mit Hilfe von Pferden und viel Arbeitsleistung, die (wenigen) Essensreste wurden wieder an die Schweine und Hühner verfüttert oder kompostiert. Das Wenige, was man nicht selbst herstellte, z.B. Salz, wurde mit einer Steinschale vom örtlichen Kaufmannsladen geholt. Geheizt wurde mit Holz, welches man selbst im Wald geschlagen hatte. Die Kleidung wurde in den Familien und an die Geschwister weitergegeben. Das Hauptkleidungsstück des Jungen war die „unkaputtbare“ Lederhose. Geräte für die Landwirtschaft waren robust und langlebig. Ersatzteile wurden in der Ortschmiede hergestellt. Gebaut wurde mit Holz und Materialien aus der Gegend, dabei wurden sehr häufig Materialien von alten Häusern wiederverwendet.

Sicher wollen und werden wir diesen Zustand so nicht wieder anstreben, aber der Rückblick zeigt, dass eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft auch vom Endkunden ein geändertes Verhalten verlangt:

  • Berücksichtigung der Nachhaltigkeit bei der Kaufentscheidung hinsichtlich Carbon Footprint, Langlebigkeit, Verwertbarkeit
  • Nutzung regionaler Produkte
  • Einschränkung des Angebots
  • Bereitschaft zu Nutzung aufgearbeiteter Ware
  • Bereitschaft zur längerfristigen Nutzung der Produkte
  • Höherer Aufwand für die Instandhaltung der Produkte
  • Verlust an Bequemlichkeit z.B. durch Mitbringen von Behältnissen
  • Bereitschaft zur gezielten Rückgabe von Produkten z.B. an den Originalhersteller
  • Mieten statt Kaufen aller Produkte mit geringer Nutzung

Diese nicht vollständige Auflistung zeigt, dass für den Aufbau der Kreislaufwirtschaft eine Abkehr vom derzeitigen Konsumverhalten, „immer nur das Beste“, „immer nur das Neuste“ als auch von einer „Jäger- und Sammlermentalität“ notwendig ist. Sicher ist das Bewusstsein für die Folgen des Klimawandels in der Gesellschaft gestiegen, aber ein verändertes Konsumentenverhalten ist zumindest bisher noch nicht im großen Umfang festzustellen.

Bedürfnis für nachhaltige Produkte wächst

Aber mit dem wachsenden Kundenbedürfnis, den eigenen Konsum nachhaltiger zu gestalten, entsteht ein Marktbedürfnis für ökologisch produzierte und gehandelte Produkte – eine Nachhaltigkeits-Ökonomie. Damit ist eine grundsätzliche Bereitschaft zur Priorisierung nachhaltigen Produzierens und Konsumierens am Markt zu erwarten. Damit entsteht mindestens mittelfristig eine Möglichkeit, sich durch nachhaltige Produkt- und Serviceangebote zu differenzieren, die eine im Rahmen des Möglichen nachhaltige, umwelt- und ressourcenschonende Herstellung und In-Vertrieb-Bringung glaubhaft machen können. Beispiele sind

  • Produkte aus ökologischen Rohstoffen
  • Produkte aus lokalem Anbau
  • langlebigere Produkte als Verkaufsargument, z.B. über Garantien
  • Reparaturgarantien
  • Miet- und Leihmodelle an Stelle von Neukauf
  • Produkte z.B. Mobiltelefone, aber auch Industriekomponenten, die eine Wiederaufarbeitung (Remanufacturing) erlauben
  • Ersatz von komplexen Strukturen z.B. mehrschichtige Folien durch einfach zu recycelnde Materialien

Innovativen Unternehmen bietet sich damit die Chance, sich nicht erst im Rahmen der Umsetzung politischer und rechtlicher Vorgaben, also „weil man ja muss“, für die Steigerung der Nachhaltigkeit des eigenen Portfolios zu engagieren. Neben den in vielen Unternehmen vorhandenen und hoch priorisierten intrinsischen Motiven für mehr Nachhaltigkeit bietet sich also auch aus ökonomischer Perspektive ein starker Anreiz zur Mitgestaltung des Wandels. Denn ein wachsendes Interesse von Konsumenten an nachhaltig produzierten Gütern wird sich voraussichtlich auch in entsprechenden Kaufentscheidungen bzw. Zahlungsbereitschaft für nachhaltigere Produkte widerspiegeln.

Der Digitale Produktpass schafft Transparenz

Instrumente wie der Digitale Produktpass können mit den durch sie vermittelten Informationen über die Entstehung, Verbreitung und Kreislauf-Rückführbarkeit eines Produkts erheblich dazu beitragen, Transparenz zu schaffen und nachhaltigere von weniger nachhaltigen Produkten zu unterscheiden. Eine solche Unterscheidungsfähigkeit ist wichtig, um Verbraucher bei der Priorisierung nachhaltiger Produkte zu unterstützen. Es muss möglichst einfach sein, im Rahmen der Kaufentscheidung vertrauenswürdige, verständliche und leicht interpretierbare Informationen darüber zu erhalten, wie der Kauf dieses Produktes zur Steigerung ökologischer Nachhaltigkeit beitragen kann. 

Dabei spielt neben Informationen über die Entstehung (Produktion, Rohstoffe) und Verbreitung (Logistik) eines Produkts auch die Bewertbarkeit der Recyclingfähigkeit im Sinne einer Rückführung in den Kreislauf eine wichtige Rolle. Denn diese Rückführung hängt, insbesondere im Fall von Endverbraucher-Produkten, ganz entscheidend von der aktiven Mitwirkung des Verbrauchers ab, womit sich der Kreis schließt: Der Verbraucher muss das Produkt nach Ende seiner Nutzung auf geeignetem Weg zurück in die Verwertung geben, etwa durch Recycling sowie Um- oder Weiternutzung durch andere Verwender. Beispiele aus der Bekleidungsindustrie zeigen, dass erhebliche Mengen an Kleidung nicht in die – vorhandenen – Recycling-Kreisläufe zurückgeführt, durch den Konsumenten aber auch nicht mehr genutzt werden. Es erscheint also sinnvoll und notwendig, Konsumenten durch die Sichtbarmachung ihres (möglichen) Beitrags zum Umweltschutz zur Nutzung bestehender Kreislaufinstrumente zu motivieren. Entsprechend aufbereitete und leicht verständlich präsentierte Informationen, wie sie ein Digitaler Produktpass zukünftig enthalten könnte, können dazu einen erheblichen Beitrag leisten – und damit auch zur Beförderung der Kreislaufwirtschaft und nachhaltigen Produzierens und Konsumierens insgesamt.

Kommentar von Dr. Niels Kiupel, Interdisziplinäres Gremium Digitale Transformation: „Ohne Einschränkungen, respektive signifikante Anpassung für den Konsument wird es nicht gehen. Wenn man sich ähnliche Ansätze zu anderen Themen anschaut, die nur mit einer Änderung und eigentlich keiner Einschränkung verbunden sind, stellt man fest, dass dies entweder sehr lange dauert oder nicht akzeptiert wird. Daher müssen für diese Aspekte auch Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, das Motivieren zur Einschränkung stringenter zu gestalten.“

Am Ende wird der Endkunde aber immer ökonomische Betrachtungen anstellen. Die Produkte und Dienstleistungen dürfen daher nur bedingt teurer sein als nicht nachhaltige Produkte. Deshalb ist es weiterhin notwendig, den Ressourcenverbrauch und die Auswirkungen des Klimawandels „einzupreisen“. Dieses ist am einfachsten und effizientesten durch einen CO2-Preis zu realisieren. Eine zu hohe Anhebung des CO2-Preises regional z.B. in Deutschland oder Europa führt aber zu Wettbewerbsverzerrungen bzw. Wettbewerbsnachteilen, weshalb dieses nur im internationalen Konsens erfolgen kann und muss.

Unabhängig von langwierigen politischen Entscheidungen sind es die Verbraucher und die Produkthersteller, die zeitnah Einfluss auf die Ressourcenverwendung nehmen können. Das IGDT stellt Lösungsansätze zur Transparenz bezüglich der für die Nachhaltigkeit relevanten Produktinformationen mittels eines Digitalen Produktpasses vor.

Autoren: Christan Gülpen, Dr.-Ing. Wilhelm Otten und weitere Mitglieder des Interdisziplinären Gremiums Digitale Transformation

Fachlicher Ansprechpartner
Dipl.-Ing. Dieter Westerkamp
Bereichsleiter Technik und Gesellschaft
Telefon: +49 211 6214-296
E-Mail: westerkamp@vdi.de

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