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Wie steht es um die KI in Deutschland?

Alois Knoll ist Inhaber des Lehrstuhls für Robotik, Künstliche Intelligenz und Echtzeitsysteme an der Fakultät für Informatik der TU München und Mitgründer der fortiss gGmbH. Er forscht und arbeitet schon lange zu dem Thema KI und weiß um die enormen Herausforderungen und Schwierigkeiten vor denen Deutschland steht, um KI auf hohem Niveau zu entwickeln.

VDI: Herr Prof. Knoll, KI ist in aller Munde. Während die Auswirkungen auf unsere Berufs- und Lebenswelt diskutiert werden, stellen Sie die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf diesem Gebiet in Frage. Sie fordern, dass die Wirtschaftspolitik KI mehr in den Blick nimmt. Wie bewerten Sie den Status Quo der Künstlichen Intelligenz in Deutschland?

Knoll: Hier müssen wir ein wenig differenzieren. Erstens: In der Forschung können wir noch mithalten. Wir haben sehr gute Forscher, deren Ergebnisse allerdings im Vergleich beispielsweise zu den immer gut vermarkteten Projekten von Googles Deepmind international viel weniger sichtbar sind.

Zweitens: In der Ausbildung sind wir erstklassig – sowohl in der Ingenieurausbildung, als auch in der Informatik. Allerdings spitzt sich die Situation zu: KI-Lehrstühle wurden in der Vergangenheit nicht nachbesetzt und jetzt suchen wir händeringend Spitzenforscher für diese zentral wichtigen Positionen für die Ausbildung. Wir kämpfen nicht nur mit den Problemen, die sich aus niedrigen Zahlen und Engpässen für den eigenen Studiennachwuchs ergeben, sondern auch gegen den Sog aus den USA. Dort herrschen insgesamt viel attraktivere Bedingungen – nicht nur für Spitzenforscher werden ganz andere Gehälter gezahlt!

Anders sieht es in der industriellen Umsetzung aus. Bisher setzt Deutschland sehr erfolgreich auf die Verbesserung von bestehenden Produkten und Produktkategorien. Allerdings funktioniert das nur, solange die Produktentwicklung in normalen Bahnen läuft. Jetzt müssen wir uns aber eingestehen, dass dieses Konzept bei der KI nicht greift. Wir sind zu langsam und wir investieren viel zu wenig; darum vergrößert sich der Abstand zur Konkurrenz immer weiter.

Um wieder einen Fuß auf den Boden zu bekommen, zumindest soweit es die KI-Großanwendung und die entstehende KI-Industrie als eigenständigen Bereich betrifft, bedarf es einer erheblichen nationalen Anstrengung. Möglicherweise wird es rein national gar nicht gehen, darum müssen wir uns europäische oder internationale Kooperationspartner suchen.

VDI: Warum ist es aus Ihrer Sicht so wichtig, der KI als eigenständigem Bereich einen so hohen Stellenwert einzuräumen?

Knoll: KI ist ein Versuchsraum für Neues. Und Wertschöpfung wird in Zukunft zu großen Teilen aus Softwareentwicklung bestehen. In diesem Bereich ist Deutschland traditionell nicht besonders stark. Der deutsche Ingenieur hat gerne mit materiellen Dingen zu tun, die er perfektioniert. Aber die Informatik ist das Engineering des Immateriellen. Damit tun wir uns schwerer. Wie immer bestätigen Ausnahmen die Regel.

Klar ist, dass die Rechentechnik, die Entwicklung der Speicher und die Entwicklung der Kommunikationstechnik zu Anwendungen geführt haben, die vor 20 Jahren als vollkommen illusorisch galten. Darum sage auch ich: KI ist die „Kommende Informatik“, die Digitalisierung 2.0.

Faktum ist, diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten und setzt sich global immer schneller fort. Das bestimmt die Wirtschaft der Zukunft und ist auch für die für uns so wichtige Produktionstechnik von herausragender Bedeutung. Darum müssen wir versuchen, wieder in die Vorhand zu kommen. Konkurrenzfähig werden wir aber nur, wenn wir sehr viel schneller werden und massiv mehr investieren – in Köpfe, Strukturen, Material.

VDI: Welche gesellschaftlichen und politischen Stellschrauben müssen verändert werden, um dieses Ziel zu erreichen? Gibt es internationale Vorreiter, die für die Märkte der Zukunft gut aufgestellt sind?

Knoll: Es ist klar, dass wir in der KI-Industrie als solcher vorerst keine Führungsposition einnehmen können. Daher müssen wir unsere Anstrengungen darauf konzentrieren, zu adaptieren, was andere uns zur Verfügung stellen. Das ist ja bereits eine Menge. Als Voraussetzung dazu müssen wir unsere Vorbehalte überwinden und national und auch europäisch, vor allem mit Frankreich viel enger zusammenarbeiten, um im vorwettbewerblichen Bereich gemeinsame Ansätze und Basisprodukte zu erarbeiten.

Ein gutes Beispiel ist Kanada: Kanada mit seinen 36 Millionen Einwohnern hat ein gut funktionierendes KI-Ökosystem installiert, das zu den besten der Welt zählt. Das Netzwerk umfasst mehr als 650 Start-ups, 60 Investorengruppen, 60 Forschungszentren mit mehr als 600 Forschern und dass in direkter Nähe zum großen Nachbarn und Konkurrenten USA.

Solche Konzepte sollten wir uns anschauen. Dabei geht es nicht darum, zu analysieren, warum wir auf diesem Gebiet rückständig sind, sondern darum, nach vorne zu blicken und einen konkreten Aktionsplan zu erstellen, was wir im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interesse implementieren wollen.

In Schanghai, wo die lokale Verwaltung über die nächsten Jahre 15 Milliarden Dollar investiert sehen wir, dass die gleichen Dinge im Mittelpunkt stehen: Netzwerke, Forscher, Ausbildung, Start-ups, Industrieparks, sogar eine ganze Smart City als Modellversuch!

Wir sind in Deutschland nach gegenwärtigem Haushaltsplan bei einem Investitionsvolumen von nur einer Milliarde Euro. Da ist offensichtlich, dass das Verhältnis nicht stimmt. Dabei ist es entscheidend, dass sich das Image des Standorts Deutschland über global sichtbare Höchstleistungen auf dem Gebiet der KI verbessert.

VDI: Inwiefern sehen Sie die Politik in der Pflicht?

Knoll: Der Staat hat eine Daseinsvorsorgeaufgabe (ein schönes deutsches Wort). Die Autobahn oder die Wasserversorgung der Wissensgesellschaft ist die Softwareversorgung und die Bereitstellung hochwertiger Daten.

Der Staat könnte beispielsweise darüber nachdenken, europäisch-autarke Softwarelösungen vom sicheren Betriebssystem aufwärts, vielleicht sogar auf der Basis offener Hardware, zu entwickeln. Dies müsste nicht notwendigerweise in staatlicher Regie geschehen, aber als kritisch definierte Projekte könnten durch gezielte kommerzielle Nachfrage des öffentlichen Sektors gefördert werden. Das würde einen erheblichen Hebel – auch für die Privatwirtschaft – erzeugen, insbesondere einen neuen Schub für Neugründungen. Dazu müsste erstmal gezielt investiert und gemeinsam mit Wissenschaftlern und Start-ups Projekte definiert werden, die mittelfristig umsetzbar sind. Die Politik hat hier eine Bringschuld. Denn die Vernachlässigung auf diesem Sektor ist langfristig gesehen sehr wirtschaftsschädlich. Und das betrifft eben nicht nur die Industrie, sondern die gesamte Wirtschaft und im Resultat auch den öffentlichen Bereich selbst.

Die Dimensionen werden größer, wir müssen in größeren Zusammenhängen denken, weil wir uns in einer globalisierten Welt befinden, in der Software sehr einfach von A nach B zu bringen ist und dann am Ort A und am Ort B läuft. Und unsere Wettbewerber sitzen hier nicht in Baden-Württemberg, sondern in Schanghai. Darum wäre es zentral wichtig, dass wir uns mindestens europaweit verbinden. Dazu brauchen wir Projekte mit konkreten Inhalten. Hier kann der Staat sehr viel beitragen, indem er konkrete Zielstellungen definiert.

VDI: Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang den Einfluss der Gesellschaft?

Knoll: Der gesellschaftspolitische Aspekt ist immens wichtig. Es ist eine zentrale Aufgabe der Verbände und der Politik zu einem Bewusstseinswandel beizutragen. Damit es nicht heißt: „Oh, da kommt wieder was Neues, ganz schrecklich und wahrscheinlich hochgefährlich!“, sondern aktiv die potenziellen Vorteile in den Mittelpunkt gestellt und die unterschiedlichen Facetten diskutiert werden. Wer immer nur die Bedenken trägt, tötet neue Entwicklungen. Dann sind hinterher viel größere Investitionen nötig, um wieder aufzuholen – oder es gelingt nie. Darin haben wir es in Deutschland ja bekanntlich zu einiger Meisterschaft gebracht.

Zu einem Bewusstseinswandel können und müssen Verbände und eben auch wieder die Politik bis auf die kommunale Ebene Etliches beitragen. Konkret könnte man in Zukunftslaboren in größeren Städten der Bevölkerung zeigen, was machbar wäre; das kann simuliert sein oder real. Denn so nimmt man den Leuten die Angst und macht Appetit auf die Zukunft. Schließlich wollen wir diese ja in Deutschland für Deutschland gestalten und wir wollen nicht weiterhin und immer noch stärker aus USA und China gestaltet werden.

Wenn wir zukünftig keine entscheidende Rolle in dieser Industrie haben, verlieren wir als Konsequenz daraus jegliche Gestaltungsmacht und letzten Endes auch unsere kulturellen Einflussmöglichkeiten. Insofern kann man nur an alle Spieler appellieren, diese große wirtschafts- und gesellschaftspolitische Verantwortung auch wahrnehmen.

VDI: Dabei ist Deutschland doch so stolz auf seine Ingenieure und deren Innovationskraft.

Knoll: Um wieder auf den deutschen Ingenieur zurückzukommen: Der leidet ja häufig, wie auch viele andere in der Welt, an dem Not-Invented-Here-Syndrom, und das müssen wir überwinden.

Dabei sollten wir unterscheiden zwischen unserer Innovationskraft, da sind wir durchaus in vielen Bereichen Weltspitze, gerade im Umfeld des Maschinenbaus und der Elektrotechnik. Aber wir haben es bisher kaum vermocht, Disruptionskraft zu entwickeln. Wenn Märkte wegbrechen, haben wir es in der Vergangenheit verpasst, neue Branchen aufzubauen.

Das muss sich unbedingt ändern. Wir brauchen etwas weniger Analyse und viel mehr Taten. Wir neigen dazu, uns immer zu sagen: „Oh wir sind ganz toll!“ Sind wir ja auch – aber wenn wir morgen noch toll sein wollen, ist nur Schulterklopfen heute eben nicht ausreichend. Oder, um es mit Goethe zu sagen:

Der Worte sind genug gewechselt,
lasst mich auch endlich Taten sehn.
Indes ihr Komplimente drechselt
kann etwas Nützliches geschehn.

Wir bedanken uns für das Interview

Das Interview führte Gudrun Huneke.

Redaktionelle Bearbeitung: Thomas Kresser

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