Wissenswertes zum Emissionshandel
„Fit for 55“ – was sich anhört wie ein Angebot der örtlichen Krankenkasse, steht tatsächlich für das aktuell vorgeschlagene Maßnahmenpaket, mit dem die EU-Kommission der Klimaneutralität einen großen Schritt näherkommen will. Das Paket schlägt unter anderem eine Reform des Emissionshandelssystems vor, mit der der Ausstoß von Treibhausgasen in der europäischen Union noch schneller gesenkt werden soll. Ein Überblick.
Der Europäische Emissionshandel (EU-ETS) ist seit 2005 das zentrale Klimaschutzinstrument der Europäischen Union. Mit dem Handelssystem sollen die Treibhausgas-Emissionen der Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrien reduziert werden. Das ist keine Kleinigkeit, das System erfasst etwa 40 % der gesamten Treibhausgasemissionen der EU. Neben CO2 schädigen auch andere Gase, wie Lachgas oder Methan das Klima. Insgesamt sind rund 11.000 Anlagen und einige hundert Luftfahrzeugbetreiber in ganz Europa emissionshandelspflichtig. In Deutschland umfasst das EU-ETS fast 2.000 Anlagen.
So funktioniert das System
Der EU-Emissionshandel ist ein Instrument, das den Ausstoß klimaschädlicher Gase auf marktwirtschaftlicher Basis reduziert. Es funktioniert so: Durch politisch festgelegte Emissions-Höchstgrenzen erhalten die tatsächlichen Treibhausgas-Emissionen einen Preis, der sich am Markt bildet. Der Emissionshandel setzt so Impulse für Investitionen in klimaschonende Technologien. Während der VDI feststellt, dass "marktorientierte Instrument des Emissionshandels [...] in den zurückliegenden Handelsperioden gezeigt [hat], dass es den Ausstoß an Treibhausgasen in dem angestrebten Umfang mindern kann", warnte die Wirtschaftsvereinigung (WV) Stahl Anfang 2020, dass "die Stahlindustrie in Deutschland von 2021 bis 2030 Mehrbelastungen in Höhe von 3,5 Milliarden EUR durch den Emissionsrechtehandel ausgesetzt ist, sofern die politischen Rahmenbedingungen nicht entsprechend angepasst" würden. Der Branche würden dadurch zudem notwendige Mittel für Klimaschutz-Investitionen entzogen, um bis 2050 klimaneutral produzieren zu können.
Begrenzen und Handeln
Der Emissionshandel funktioniert nach dem Prinzip "Cap and Trade". Mit einer staatlich festgelegten Obergrenze - Cap, engl. für Kappe, bedeutet soviel wie "gedeckelt", "begrenzt" - wird politisch entschieden, wieviel in einer bestimmten Periode insgesamt emittiert werden darf. Gerechnet wird dabei in CO2-Äquivalenten, womit man die Klimaschädlichkeit anderer Treibhausgase, die beispielsweise bei Methan viel höher ist als bei Kohlenstoffdioxid, auf die Schädlichkeit von CO2 als "Basiseinheit" umrechnet. Alle Unternehmen, deren Anlagen in den Emissionshandel einbezogen sind, müssen nun für jede emittierte Tonne an CO2-Äquivalenten eine Emissionsberechtigung abgeben. Wird das Cap so gewählt, dass die Menge der realen Emissionen über der politisch bestimmten Emissionsmenge liegt, werden die Emissionsberechtigungen ein knappes Gut. Durch den Handel (Trade) mit diesen Berechtigungen bildet sich ein Preis für CO2-Zertifikate.
Der eigentliche Mechanismus zur Reduktion der Emissionen greift bei höheren Preisen für die Emissionszertifikate. Wenn die Kosten für die Zertifikate für Unternehmen über den Kosten für eigene technische Maßnahmen liegen, mit den die Emissionen gesenkt werden können, ist das ein Anreiz, solche Klimaschutzmaßnahmen auch tatsächlich zu realisieren. Stehen im Verhältnis zu den Emissionen der Unternehmen (Nachfrage) viele Emissionsberechtigungen zur Verfügung (Angebot), ist der Marktpreis niedrig. Werden die Emissionsberechtigungen hingegen knapp, weil beispielsweise zur Erreichung der Klimaschutzziele weniger Berechtigungen verfügbar sind, steigt der Preis.
Einem Teil der Unternehmen wird dabei eine begrenzte Anzahl Emissionsberechtigungen entsprechend europaweit festgelegter Zuteilungsregeln kostenlos zur Verfügung gestellt. Unternehmen, die keine kostenlosen Emissionsberechtigungen erhalten oder bei denen die Zuteilung nicht ausreicht, müssen Emissionsberechtigungen in den regelmäßig stattfindenden Auktionen ersteigern oder von anderen Unternehmen kaufen. Wenn Unternehmen hingegen zu viele Emissionsberechtigungen besitzen, können sie diese verkaufen.
Warum ein Handelssystem - und keine festen Grenzwerte?
Warum wird eigentlich ein Handelssystem für die Erreichung der Klimaziel eingesetzt – und nicht beispielsweise Vorschriften oder Grenzwerte? Expertinnen und Experten sind sich dabei weitgehend einig, dass solche ordnungsrechtlichen Instrumente dann sinnvoll sind, wenn es darum geht, Menschen und Ökosysteme vor toxischen Substanzen zu schützen. Während Subventionen und Marktanreizprogramme etwa die Einführung von neuen Techniken unterstützen können, haben starre Vorgaben, wie etwa einheitliche Grenzwerte oder Mengenbeschränkungen, allerdings den Nachteil, dass alle regulierten Energie- und Industrieanlagen diese Vorgaben einhalten müssen. Da dies für die Betreiber mit unterschiedlich hohen Kosten verbunden ist, ist es für manche Unternehmen daher einfacher, einen bestimmten Grenzwert einzuhalten, als für andere.
Hier bieten marktbasierte Instrumente wie der Emissionshandel volkswirtschaftliche Vorteile, argumentiert etwa das Bundesumweltamt. Marktbasierte Instrumente zielen darauf ab, dass Umweltbelastungen bei den Verursachern, zum Beispiel bei Unternehmen, Kosten verursachen und diese jeweils selbst entscheiden, ob es für sie günstiger ist, die Belastungen zu reduzieren oder für die Belastungen zu bezahlen. Dies führt dazu, dass aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive die kostengünstigen Umweltschutzmaßnahmen zuerst ergriffen werden. Wenn so insgesamt ein ausreichender Umweltschutz erreicht wird, kann auf teurere Umweltschutzmaßnahmen verzichtet werden. Damit können marktbasierte Instrumente bestimmte Umweltziele zu geringeren volkswirtschaftlichen Kosten erreichen als andere Instrumente.
Carbon Leakage bezeichnet im Allgemeinen die Verlagerung von CO2-Emissionen, die in Nicht-EU Drittstaaten unter das Europäische Emissionshandelssystem (engl. Emission Trading System (ETS)) fallen.
Ein weiteres Instrument sind sogenannte Differenzverträge (Contracts for Difference) - ursprünglich ein Produkt aus der Finanzwelt. Sie dienen dazu, schwankende Preise, beispielsweise für Aktien oder Rohstoffe, abzusichern. Dafür wird zwischen Verkäufer und Käufer ein Preis (strike price) für ein bestimmtes Produkt zu einem bestimmten Zeitpunkt vereinbart. Liegt zu diesem Zeitpunkt der vereinbarte Preis unter dem momentanen Marktpreis, muss der Käufer die Differenz zwischen vereinbartem Preis und Marktpreis an den Verkäufer bezahlen. Liegt der Marktpreis über dem strike price, verhält es sich genau anders herum: Der Verkäufer muss die Differenz an den Käufer bezahlen.
Und was heißt das in der Praxis? Ein stark vereinfachtes Beispiel von zwei Unternehmen aus der energieintensiven Industrie: Unternehmen A, das mittels herkömmlicher Technologie produziert, hat Produktionskosten von 10 EUR für ein Gut und muss zusätzlich für 5 EUR Emissionszertifikate für den CO2-Ausstoß der Produktion kaufen. Insgesamt liegen die Produktionskosten des Gutes also bei 15 EUR. Solange der CO2-Preis relativ niedrig ist, ist die Produktion von Unternehmen A mit herkömmlichen Technologien günstiger als für Unternehmen B, das mithilfe einer teureren, treibausgasneutralen Technologie produziert und Produktionskosten von 16 EUR hat. Die sogenannten CO2-Vermeidungskosten bei Unternehmen B betragen 6 EUR. Der Staat und das Unternehmen B können nun einen Carbon Contract for difference (CCfd) abschließen, der die Differenz zwischen dem Marktpreis für Emissionszertifikate und den CO2-Vermeidungskosten ausgleicht. In unserem Beispiel beträgt diese Differenz 1 EUR (6 EUR CO2-Vermeidungskosten minus 5 EUR Zertifikatepreis). Ist der Marktpreis für Emissionszertifikate niedriger als die CO2-Vermeidungskosten, zahlt der Staat den Differenzbetrag an Unternehmen B. Im umgekehrten Fall muss Unternehmen B die Differenz zahlen. Bei den energieintensiven Industrien liegen die Vermeidungskosten aber oft weit über dem Preis für Emissionszertifikate. In diesem Fall sorgen CCfD dafür, dass klimafreundliche Technologien gegenüber herkömmlichen Technologien wettbewerbsfähig werden. Der Vorteil eines CCfD liegt dann darin, dass dieser die tatsächlichen Vermeidungskosten eines Unternehmens und dessen Möglichkeiten, diese an den Markt weiter zu geben, berücksichtigt. Wenn über die Zeit Veränderungen, zum Beispiel bei den Preisen für Emissionszertifikate, auftreten oder beim Thema Carbon-Leakage Schutz der EU, können die Differenzzahlungen flexibel angepasst werden.
Ist das System wirksam?
Mit Blick auf das Ziel, die Emissionen zu senken, muss man sagen, dass das System wirksam ist. So sind die Emissionen der einbezogenen Anlagen in Deutschland seit Beginn des Emissionshandels im Jahr 2005 um etwa 38 % gesunken. Europaweit ist sogar ein noch höhrer Rückgang um rund 43 % unterhalb des Ausgangswerts von 2005 zu verzeichnen. Dabei hat sich der Rückgang der Emissionen im Zeitraum 2013 bis 2020 allerdings verlangsamt: Im Jahr 2020 lagen die Emissionen europaweit um etwa 29 % unterhalb des Werts von 2013. In Deutschland gingen die Emissionen im selben Zeitraum um etwa 33 % zurück. Dabei sind die Preise für die Zertifikate seit Mitte 2017 in Folge der letzten Reform des EU-ETS wieder deutlich gestiegen. Mitte 2021 lag der Preis bei rund 55 EUR pro Tonne emittierter CO2-Äquivalente.
Um die im europäischen Klimagesetz festgelegten höheren Ziele für die Verringerung der Treibhausgasemissionen zu erreichen, hat die EU-Kommission im Juli 2021 Vorschläge gemacht, wie das Emissionshandelssystem daran angepasst werden soll. Vorgeschlagen sind unter anderem eine geringere Obergrenze und ein ehrgeizigerer Reduktionsfaktor für Treibhausgasemissionen sowie überarbeitete Regeln für die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten und die Marktstabilitätsreserve. Konkret sollen die Emissionen aus den am Handelssystem beteiligten Sektoren bis 2030 um 61 % gegenüber dem Stand von 2005 verringert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, soll der Emissionsreduktionsfaktor von 2,2 % pro Jahr auf 4,2 % erhöht werden. Auf die betroffenen Unternehmen kommen also ambitioniertere Ziele und höhere Kosten zu.
Kritik von der energieintensiven Industrie
In Deutschland und Europa sind die energieintensiven Branchen direkt vom Emissionshandelssystem betroffen. Auch wenn sich die Industrie seit vielen Jahren eindeutig zu dem Ziel bekennt, das Klima zu schützen und Treibhausgase zu reduzieren, kritisieren die energieintensive Industrien immer wieder die konkrete Gestaltung des Emissionshandelssystems und die damit zusammenhängenden weiteren politischen Maßnahmen, da sie ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährdet sehen. Der außereuropäische Wettbewerber unterliege in der Regel keinen zusätzlichen Kosten für Treibhausgas-Emissionen. Sie können ihre Erzeugnisse daher zu niedrigeren Kosten herstellen und anbieten. Für die europäischen energieintensiven Industrien ist das ein klarer Nachteil, der dazu führen könnte, Produktion (und die damit verbundenen Emissionen) ins Ausland zu verlagern. Diese Verlagerung wird als "Carbon Leakage" bezeichnet.
Zudem werden den Unternehmen durch den verpflichtenden Kauf von Emissionsberechtigungen finanziellen Mittel entzogen, die in der Folge nicht mehr für andere Investitionen, beispielsweise in die Produktentwicklung, zur Verfügung stehen.
Transformation und Emissionshandel
Ein weiterer Kritikpunkt der Industrie, zielt nicht auf den Emissionshandel ab, sondern hebt die Doppelbelastung hervor, mit der viele Branchen auf dem Weg zur Klimaneutralität zu kämpfen haben. So fallen einerseits Kosten für den Emissionszertifikate an, die, so sieht es die Roadmap des Handelssystems vor, nach und nach weiter verknappt werden und damit die Kosten für die Unternehmen weiter tendenziell weiter steigen lassen. Andererseits stehen die Unternehmen aber vor der immensen Herausforderung, ihre Produktion für das Ziel klimaneutral zu produzieren, komplett umbauen zu müssen. Diese gewaltigen Investitionen können nicht gestemmt werden, wenn zugleich an anderer Stelle die finanziellen Mittel abgezogen würden.
Carbon Leakage verhindern
Das Risiko des Carbon Leakage haben die politischen Entscheidungsträger erkannt. Das EU-ETS steuert mit einer kostenlosen Zuteilung eines Teils der Emissionsberechtigungen entgegen. Zudem wird in Deutschland und einigen anderen Mitgliedstaaten eine Beihilfe zur Kompensation der im Strompreis enthaltenen CO2-Kosten gewährt – die sogenannte Strompreiskompensation.
Mit dem "Fit for 55"-Paket" hat die EU-Kommission nun ein weiteres Instrument vorgeschlagen: einen Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Bordern Adjustment Mechanism, CBAM) für eine Auswahl von Produkten. Ab 2026 sollen für Stahl, Strom, Zement, Aluminium sowie Düngemittel Zertifikate in Höhe der herstellungsbedingten, direkten, produktbezogenen Emissionen erworben werden müssen. Damit soll vermieden werden, dass in Hinsicht auf Emissionen günstiger produzierende Unternehmen auf dem europäischen Markt Kostenvorteile haben.
Beide Instrumente zur Verhinderung des Carbon Leakage - die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten sowie der Grenzausgleichsmechanismus - werden dabei verknüpft. So soll die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten für die Hersteller von Produkten, die dem Grenzausgleichsmechanismus ab 2026 unterliegen, jährlich um 10 % gesenkt werden. CBAM soll die bisherigen Instrumente zum Schutz vor Carbon Leakage also schrittweise ersetzen.
Autor: Markus Huneke