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Covid-19

Wie gelang die mRNA-Impfstoff-Produktion in Deutschland?

Bild: mhp/Shutterstock.com

Impfstoffe auf mRNA-Basis haben die Welt verändert und viele Menschenleben gerettet. Wie genau werden die Vakzine von BioNTech oder Moderna hergestellt und auf welche Produktionsschritte kommt es an? Welchen Beitrag leistet dabei die Chemische Industrie in Deutschland?

Auf den ersten Blick ist es eine scheinbar einfache Mixtur, auf der der mRNA-Impfstoff der Firma BioNTech aus Mainz basiert: Natrium- und Kalium-Salze, Cholesterin, Zucker, Wasser, spezielle Lipide und natürlich die namensgebende modifizierte mRNA. Eigentlich steckt nicht viel mehr in dem mRNA-Impfstoff von BioNTech, mit dem am 23. April 2020 der erste Forschungsteilnehmer in Europa geimpft wurde und der seit 27. Dezember 2020 offiziell in Deutschland verabreicht wird. 

Besondere Eigenschaften der mRNA-Impfstoffe

Alle mRNA-Impfstoffe basieren auf Messenger-Ribonukleinsäure (mRNA, messenger = m) und sind eine neuartige Technologie, die die körpereigene Immunantwort stimuliert. Im Gegensatz zu „herkömmlichen“ Impfstoffen enthalten RNA-Impfstoffe keine abgeschwächten Lebend-Viren, sondern nur das Erreger-Gen in Form sogenannter mRNA. Diese Messenger- oder Boten-RNA gibt den Zellen die Anweisung zur Herstellung des Antigens. Im Fall von RNA-Impfstoffen erhält der Körper bei der Impfung somit lediglich die genetische Information des Virus. Die Körperzellen nutzen diese künstlich hergestellte Erbinformation, um das spezifische Antigen selbst zu produzieren. Bei einem späteren Kontakt der geimpften Person mit dem Virus erkennt das Immunsystem das Antigen wieder und kann die Infektionskrankheit gezielt bekämpfen.

Herausforderung Impfstoff-Produktion

Die mRNA kann relativ einfach und schnell im Labor aus einer DNA-Sequenz des Virus hergestellt werden. Das ermöglicht die Produktion großer Mengen eines Impfstoffs innerhalb kurzer Zeit. Zu Beginn der Corona-Pandemie war die Zeit jedoch knapp und es erforderte große Anstrengungen, die benötigten Kapazitäten für die Produktion des Corona-Impfstoffs aufzubauen. Denn die Herstellung des mRNA-Impfstoffs ist nicht trivial und unterscheidet sich von der Produktion klassischer Arzneimittel. Wie genau funktioniert die Herstellung eines mRNA-Impfstoffes?

Die entscheidende neue Eigenschaft des BioNTech-Impfstoffs ist die „Verpackung“ der mRNA: ihre Schutzschicht aus besonderen Lipidmolekülen. Sobald der mRNA-Impfstoff einer Person injiziert wird, schützen die Lipidnanopartikel die mRNA vor dem Abbau und tragen dazu bei, dass die mRNA die Zellen erreicht. Die winzigen Teilchen müssen aber auch genau die richtige Größe besitzen, damit sie den Weg in die menschliche Zelle finden. In den Zellen werden die im mRNA-Strang enthaltenen Informationen ausgelesen und das Antigen-Protein produziert, das letztlich die gewünschte Immunantwort auslöst.

Flaschenhals Lipid-Produktion

Lipide sind also zwingend erforderliche Bestandteile der mRNA-basierten Vakzine. Im Rahmen einer strategischen Partnerschaft mit BioNTech stellt Evonik seit April 2021 zwei verschiedene Lipide für den Covid19-Impfstoff von BioNTech her. Zusammen mit weiteren Lipiden verkapseln sie sich zu einem Lipidnanopartikel (LNP). Laut EVONIK handelt es dabei „um eine komplexe Produktion, die nur wenige in der Welt beherrschen“. Mit mehr als 100 hochmotivierten Mitarbeitern aus Produktion, Ingenieurtechnik, Prozessentwicklung, Qualitätssicherung und Analytik ist es EVONIK gelungen, innerhalb von nur acht Wochen eine vollständige Produktion am Standort Hanau aufzubauen. Monate früher als geplant und ausgehend von Hanau und Dossenheim wurden so die dringend benötigten Lipide über abgesicherte deutsche Lieferketten für die BioNTech-Impfstoffproduktion geliefert.

Eine vergleichbare Erfolgsstory kann die Merck KGaA verzeichnen. Merck ist es im Mai 2021 gelungen, ein neues, hochreines synthetisches Cholesterinprodukt zur Deckung des hohen Bedarfs an Lipiden auf den Markt zu bringen - neun Monate früher als geplant. Damit konnten die Kapazitäten um das 50-fache erhöht und so die Vakzin-Produktion deutlich beschleunigt werden. Gegenüber tierischen oder anderen synthetischen Cholesterinvarianten zeichnet sich das synthetische Cholesterinprodukt von Merck durch eine hohe Reinheit von mehr als 99 Prozent sowie Skalierbarkeit und eine konsistente Qualität aus. Die Lipidproduktion von Merck erfolgt in Darmstadt, Schaffhausen (Schweiz), sowie in St. Louis (USA). 

„Die COVID-19-Pandemie hat den Wert internationaler wissenschaftlicher Zusammenarbeit gezeigt, selbst angesichts sich überlagernder Umweltrisiken und geopolitischer Spannungen. Wir müssen unsere Bemühungen zum Aufbau eines multilateralen Systems erneuern, das Ungleichheiten angeht und uns gleichzeitig auf die nächste Krise vorbereitet. Ob es sich um eine weitere Pandemie, den Klimawandel oder einen Konflikt handelt, wir haben die Chance, aus den letzten zwei Jahren zu lernen. Andernfalls geraten die Ziele für nachhaltige Entwicklung außer Reichweite.“ Mami Mizutori, Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Katastrophenvorsorge

Was kommt mit Corona noch auf uns zu?

In den westlichen Ländern herrscht aktuell kein Mangel an mRNA-Impfstoff, sondern eher eine Impfmüdigkeit. In Deutschland hat Corona seinen Schrecken verloren und Impfskeptiker sind dadurch noch schwieriger zu belehren. Aber was erwartet uns noch bei Corona - national und international?

Nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität sind weltweit nachweislich 525 Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert worden; 6,3 Millionen sind gestorben. Etwas mehr als die Hälfte aller Menschen ist inzwischen geimpft. (Stand 19.05.2022).

Am 17.05.2022 veröffentlichte das International Science Council (ISC) ihre Studie „Beispiellos und unvollendet: COVID-19 und Auswirkungen auf die nationale und globale Politik“, in der drei COVID-Szenarien – von erschreckend bis optimistisch – beschrieben werden:

Nach Meinung der Experten gilt es als die wahrscheinlichste Variante. Danach wird es bis 2027 für alle problematischen Virus-Mutationen einen geeigneten Impfstoff geben. COVID-19 wird zu einer endemischen Seuche mit regionalen und saisonalen Ausbrüchen, die an die jeweiligen Mutationen angepasste Impfstoffe und den zunehmenden Einsatz antiviraler Arzneimittel erfordert. Die ungeimpfte Bevölkerung ist nach wie vor hauptsächlich in einkommensschwachen Ländern anzutreffen, obwohl Impfgegner weltweit ein Hindernis auf dem Weg zu einer globalen Immunität darstellen. Voraussetzung ist eine globale und regionale Zusammenarbeit sowie stabile Sozial- und Gesundheitssysteme. Allerdings hat die Corona-Krise das Vertrauen zwischen Bürgern und Staat beeinträchtigt und zu einem Anstieg von Populismus sowie zum Verlust des sozialen Zusammenhalts geführt, was zu politischen Auswirkungen auf nationaler und globaler Ebene führen kann. Insgesamt wird COVID-19 die Ungleichheiten in Gesundheit, Wirtschaft, Entwicklung, Wissenschaft und Technologie sowie Gesellschaft verschlimmert haben.

Hier handelt es sich um die pessimistische Einschätzung der Corona-Spezialisten. Aufgrund des Impfstoffmangels in ärmeren Ländern sind 2027 immer noch weniger als 60 % der Weltbevölkerung wirksam und vollständig gegen COVID-19 geimpft. Infolgedessen bleibt COVID-19 weitgehend unkontrolliert, und in einigen Teilen der Welt kommt es zu schweren Ausbrüchen. Dort sind weiterhin restriktive öffentliche Gesundheits- und Sozialmaßnahmen, wie regionale Lockdowns, erforderlich. Die Zunahme des Populismus fördert autoritäre Regierungsführungen und schwächt das multilaterale System. Die internationale Zusammenarbeit zur Lösung von politischen, gesellschaftlichen oder technischen Problemen wird somit erschwert und die Verwirklichung der Ziele für nachhaltigen Entwicklung der Vereinten Nationen (UN SDGs) stark zurückgeworfen.

Dies ist das optimistischste Szenario und zeigt eine Welt, in der die Bedeutung von COVID-19 aufgrund der großen internationalen Zusammenarbeit abnimmt. Mehr als 70 % der Menschen haben einen wirksamen COVID-19-Impfstoff erhalten. Die ständig an kritische Mutationen angepassten Vakzine sowie verbesserte Herstellungs- und Vertriebskapazitäten ermöglichen es, weltweit eine hohe Immunität aufrechtzuerhalten. Wirksame antivirale Medikamente sind zu einem Preis verfügbar, der auch ärmeren Ländern den Zugang ermöglicht. Die Gesundheitssysteme dieser Länder können bei einem Corona-Ausbruch immer noch an ihr Grenzen stoßen, aber die Krankheit ist weltweit besser kontrollierbar geworden. Der Schock der Pandemie hat Länder mit hohem Einkommen zu erheblichen Investitionen veranlasst, um sowohl ihre Sozial- und Gesundheitssysteme auszubauen als auch die Green Recovery (grünen Wirtschaftsbelebung) zu fördern, d.h. es wurden Maßnahmen ergriffen, um die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen der Corona-Krise zu bekämpfen. Die Erfolge einer Green Recovery und die Abschwächung der Pandemie führen bei den multilateralen Akteuren zu einer Neu-Priorisierung der UN SDGs. 

FAZIT:

Auch das optimistische Szenario ist machbar – vorausgesetzt die Regierungen und das multilaterale System haben die Lehren aus der Pandemie gezogen und sowohl die Katastrophenvorsorge als auch wissenschaftliche Beratungsmechanismen gestärkt, um die Widerstandsfähigkeit gegen künftige Krisen zu erhöhen. 

Beispielsweise könnten die Einschränkungen im Bildungssektor, der einer der am stärksten von der Pandemie betroffenen Bereiche war, weitreichende Auswirkungen bis zum Ende des Jahrhunderts haben.  Der Bildungsverlust könnte zu Einkommensverlusten in Höhe von bis zu 17 Billionen US-Dollar im Laufe des Lebens einer ganzen Generation von Studierenden führen – ganz abgesehen von den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit der jungen Generation.

„Um eine widerstandsfähigere und gerechtere Zukunft zu gewährleisten, müssen wir Wege finden, die eine effektive internationale Zusammenarbeit bei der Bewältigung globaler Bedrohungen fördern.“ Peter Gluckman, Präsident des International Science Council.

Autorin und Ansprechpartnerin:
Dr. Ljuba Woppowa
VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (GVC)
E-Mail: woppowa@vdi.de 

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