Direkt zum Inhalt
Der neue VDI-Präsident Lutz Eckstein im Interview

„Wir brauchen langfristige Visionen“

Professor Lutz Eckstein (54 Jahre) promovierte nach seinem Maschinenbaustudium in Stuttgart in Kooperation mit der Forschung der Daimler-Benz AG. Er beschäftigte sich damals mit der Frage, ob man Kraftfahrzeuge anders als mit Lenkrad und Pedalen steuern kann. So führte ihn sein Weg in die Fahrzeugentwicklung, später mit dem Schwerpunkt Sicherheit und Fahrerassistenzsysteme. Nach seiner Zeit als Ingenieur bei Daimler verantwortete Lutz Eckstein fünf Jahre lang in der Entwicklung bei BMW das Anzeige- und Bedienbedienung sowie die Ergonomie aller Fahrzeuge der Marken BMW, MINI und Rolls-Royce. 2010 wechselte er von der Industrie in die Forschung und Lehre und übernahm die Leitung des Instituts für Kraftfahrzeuge (ika) an der RWTH Aachen. Im Juni 2021 wurde Eckstein in den Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr berufen. Seit 2023 ist Lutz Eckstein Präsident des VDI. 

Sie engagieren sich schon lange im VDI, seit Anfang des Jahres als Präsident des VDI. Was reizt Sie an dieser Position?

Eckstein: Durch meine Berufung an die RWTH Aachen durfte ich zusätzlich zur Perspektive der Industrie die Sicht der Wissenschaft auf unsere Gesellschaft kennenlernen sowie wertvolle Einblicke in Ministerien und die Politik erhalten. Im Laufe der Zeit wurde mir klar, wie wichtig es ist, Brücken zwischen Politik, Wissenschaft und Industrie zu bauen. Die neutrale Rolle eines Professors ist zwar eine gute Voraussetzungen für diesen Brückenschlag, doch als einzelne Person kann man nur wenig bewegen. 

Der VDI vereint die erforderliche Neutralität mit der übergreifenden Perspektive von über 135.000 Mitgliedern. 
Ferner habe ich große Freude daran, Netzwerke zu knüpfen und Menschen zusammen zu bringen. In meiner neuen Funktion als Präsident des VDI begegne ich fast täglich alten Weggefährten und auch neuen Menschen, die genau wie ich etwas bewegen wollen und die erkennen, dass wir als VDI sowohl intern als auch in der Gesellschaft großes Potenzial haben. 

Etwas Positives für unsere Gesellschaft zu bewegen, ist meine Hauptmotivation. 

Was treibt Sie konkret an?

Eckstein: Wir stehen vor enormen Herausforderungen, nicht nur als Gesellschaft, sondern vor allem auch als Volkswirtschaft. Ich fürchte, das ist vielen noch nicht klar. Der VDI hat bisher schon tolle Arbeit geleistet, vielfältige Probleme und Themen adressiert. Gemeinsam mit dem sehr engagierten Ehrenamt und dem Hauptamt können wir noch viel mehr bewegen.

Denn zurzeit befinden wir uns an einem Tipping Point zur Deindustrialisierung. Wir müssen unbedingt eine Situation vermeiden, in der sich Unternehmen in großem Stil verabschieden, weil die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen. Leider gibt es Stimmen in der Gesellschaft, die meinen, ein bisschen weniger Industrie wäre doch auch gut, aber das ist zu kurz gedacht. Eine funktionierende Volkswirtschaft ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass wir uns Klimaschutz und unseren Sozialstaat auch in Zukunft leisten können.

Deshalb bin ich der Meinung, dass  auch wir uns als VDI stärker mit wirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Themen auseinanderzusetzen sollten, auch wenn das ungewohnt ist für uns Ingenieurinnen und Ingenieure. Wir verfügen alle über eine hervorragende Qualifikation, die uns  aus meiner Sicht auch ein stückweit verpflichtet, zur Lösung der komplexen Herausforderungen beizutragen, mit denen unsere Gesellschaft aktuell konfrontiert wird. 

Wie sehen Sie die Zukunft?

Eckstein: Meine persönliche Sicht ist nicht entscheidend. Es bedarf einer positiven Vision, eines gemeinsamen Zukunftskonzeptes, das länger trägt als eine Wahlperiode oder die Vertragslaufzeiten von Vorständen und Geschäftsführer*innen. Hier liegt eine große Chance und Stärke des VDI. Er kann als Mitgliederverein, der weder von Unternehmen noch von Politik abhängt, ein langfristiges Rückgrat unserer Gesellschaft sein; nicht in Konkurrenz, sondern gemeinsam mit anderen neutralen Institutionen. So können wir ein nachhaltiges Konzept entwickeln, damit Deutschland auch in Zukunft eine tragende Säule Europas darstellt. 

Unsere zahlreichen und engagierten Mitglieder machen den VDI einzigartig und bieten uns die Chance, als VDI in der Gesellschaft Großes zu bewegen. Ich bin davon überzeugt, dass diese tragende Rolle den Zusammenhalt im VDI und den VDI als solchen nachhaltig stärken wird. 

Mich persönlich motiviert es, mit dem VDI zur Zukunftssicherung unseres Standorts beizutragen.

Wie kann man junge Menschen erreichen?

Eckstein: Junge Menschen erkennen die Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, sonst würden sie sich nicht in vielfältiger Weise engagieren. Als einzelne Person können wir wenig ändern, aber als Gemeinschaft haben wir die Power, etwas zu bewegen. Als neutrale Organisation von vielen Tausend hoch qualifizierten Menschen haben wir einen gigantischen Hebel, in der Gesellschaft eine tragende Rolle zu spielen. 

Dieser Impact ist auch für junge Menschen attraktiv. Deshalb müssen wir das Potenzial von Technik verdeutlichen und die Technologiefeindlichkeit überwinden. Dazu gehört auch das Verständnis, dass Verzicht die triviale und langfristig keine tragfähige Lösung ist. Denn unsere Volkswirtschaft wäre mit weniger Einnahmen aus Steuern von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Unternehmen und Selbständigen auch weniger leistungs- und zukunftsfähig. Wir müssten dann mit mehr Arbeitslosen und weniger sozialer Absicherung umgehen und hätten bspw. weniger finanziellen Spielraum für den Klimaschutz. 

Wenn man das verstanden hat, erkennt man, wie viel attraktiver es ist, als nachhaltigere Volkswirtschaft auch Vorbild für andere Länder zu sein und global betrachtet Einfluss zu nehmen. So kann es zum Beispiel sinnvoll sein, durch den Export von nachhaltigen Technologien auch Autokratien in die Lage zu versetzen, auf die Förderung von fossilen Energieträgern langfristig zu verzichten. Sonst werden wir den Klimawandel nie aufhalten, denn auch andere Menschen und Länder streben nach Wohlstand. Das steigert global den Energiebedarf, der heute ganz überwiegend durch fossile Energieträger gedeckt wird. 

Wir als VDI können die Komplexität dieser Zusammenhänge leicht verständlich machen und zudem aufzeigen, wie wichtig die Entwicklung nachhaltiger Produkte und Technologien ist – eine der Kerndisziplinen von uns Ingenieurinnen und Ingenieuren. 

Interview: Sarah Janczura

Artikel teilen