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SpaceX: Wie ein Privatunternehmen die Raumfahrt verändert

Zukunft der Raumfahrt

Im Mai sind erstmals wieder zwei Astronauten von Cape Canaveral aus ins All gestartet – in einem Raumschiff des privaten Unternehmens SpaceX. Das Weltraum-Startup, das vor Jahren noch von manchen als Schnapsidee belächelt wurde, ist inzwischen zu einem ernstzunehmenden Player in der Raumfahrt geworden. Enrico Stoll, stellvertretender Vorsitzender vom VDI-Fachbeirat Luft- und Raumfahrttechnik, und Enrico Stoll vom Institut für Raumfahrtsysteme an der Technischen Universität Braunschweig erörtern im Gespräch, was diese Entwicklung für die internationale Raumfahrt bedeutet.

VDI: In 20 Jahren leben Menschen dauerhaft auf dem Mars. Das behauptet jedenfalls SpaceX-Chef Elon Musk. Wie realistisch ist das? 

Stefan Linke: SpaceX und Elon Musk haben das Ziel, den Mars zu einer dauerhaften und autarken Kolonie der Menschheit zu machen. Diesem Ziel ist alles andere im Unternehmen untergeordnet. Satellitenstarts und Missionen für die NASA dienen dazu, die nötige Technologie zu entwickeln und Einnahmen für das Marsprojekt zu generieren. Der technische und organisatorische Ansatz von SpaceX ist in der Raumfahrtbranche ungewöhnlich und basiert auf Pragmatismus und langfristiger Zielorientierung. Es wird sehr früh in einem Programm Hardware gebaut und getestet, anstatt sich mit jahrelangen Simulationen aufzuhalten. Die Weiterentwicklung der Technik erfolgt im realen Betrieb. Zum Beispiel bei der Landetechnik der Falcon 9, deren Testprogramm mit jeder neuen kommerziellen Mission weitergetrieben wurde, statt die ausgebrannten Stufen ungenutzt ins Meer fallen zu lassen. Ähnliche Ansätze sind jetzt beim Starship-Programm zu sehen: Es wird auf relativ einfache und robuste Technik gesetzt, das System ist kommerziell nutzbar und es wird von Anfang an Hardware mit zunehmender Komplexität entwickelt, die bis zum Versagen getestet wird. Sollte dieses Programm erfolgreich sein, was aufgrund der hohen Risiken keineswegs sicher ist, so ist eine Präsenz des Menschen auf dem Mars im genannten Zeitraum realistisch.

Enrico Stoll: Diese Ansicht teile ich. Zur dauerhaften Besiedlung des Mars ist ja nicht nur Technologie zum erfolgreichen Start von Raketen und zum monatelangen Transport von Astronauten notwendig. Es muss auch eine Logistik entwickelt werden, um Verbrauchsmaterialien auf den Mars zu schaffen, Habitate zu errichten und Ressourcen vor Ort nutzbar zu machen. Astronauten in 20 Jahren auf den Mars zu bringen ist kompliziert und wir drücken die Daumen dafür, dass es gelingt. Eine dauerhafte Präsenz innerhalb dieses Zeitraums ist aber zweifelhaft. Hier würde ich mich aber sehr gern irren.

VDI: SpaceX hat jetzt einen bemannten Flug zur ISS gestartet: Macht sich die NASA abhängig?  

Stefan Linke: Die NASA war schon immer von privaten Unternehmen abhängig, weil sie Aufträge für die Hardware an Firmen vergibt. Neu ist das nicht. Aber der kommerzielle Ansatz wird durch langfristige Verträge etwa zur Lieferung von Nachschub zur ISS auf eine neue Ebene gehoben. Die NASA sorgt dafür, dass es immer mindestens zwei Firmen gibt, die diese kritischen Aufgaben übernehmen, damit beim Ausfall einer Firma immer noch ein weiteres Unternehmen bereit steht. Die NASA achtet sehr darauf, in wichtigen Schlüsselbereichen unabhängig zu bleiben und nur Bereiche zu kommerzialisieren, bei denen es technisch und finanziell Sinn macht. Die kommerzielle Durchführung solcher Dienstleistungen ist deutlich günstiger als die bislang üblichen Programme, wodurch Gelder bei der NASA frei werden, die für das eigentliche Ziel aufgewendet werden können, nämlich die Erforschung und Exploration des Weltraums und die Verschiebung von Grenzen des Wissens.

Enrico Stoll: Genaugenommen macht sich die NASA zunächst einmal unabhängig von den russischen Kollegen, die über Jahre hinweg die Einzigen waren, die bemannte Starts zur ISS bereitstellen konnten. Die Privatisierung der Raumfahrt bringt Wettbewerb mit sich. Sicherlich ist dieser noch staatlich unterstützt aber dennoch wird durch diesen Wettbewerb auch Innovation entstehen.  

VDI: SpaceX will im Rahmen seines Starlink-Projekts zehntausende Satelliten in den Orbit bringen. Ist das ein technischer Segen – oder ergeben sich Risiken daraus, die größer sind, als der Nutzen? 

Enrico Stoll: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Auch hier betreibt SpaceX Innovation in großem Stil. Die New-Space-Ära bringt viele Änderungen mit sich, auch dass Satelliten mitunter keine Unikate mehr sind, sondern in großen Stückzahlen gebaut werden. Innerhalb kurzer Zeit wurde SpaceX der Betreiber der größten Satellitenflotte. Vorher war es Planet Labs. 

Stefan Linke: Das ist ein durchaus kontroverses Projekt. Grundsätzlich hat es großen technischen Nutzen, weil eine schnelle Datenverbindung überall auf der Welt geschaffen werden kann. Letztlich dient das Projekt dazu, Einnahmen für das Marsprogramm zu generieren. Bei der Auswahl der Orbits sowie der Konstruktion der Satelliten ist darauf geachtet worden, dass diese nach ihrem Betriebsende gezielt aus dem Orbit geholt werden können, um Weltraummüll zu vermeiden. Trotzdem ist eine so große Menge an Satelliten noch nie realisiert worden und keiner weiß, was beispielsweise mit den Satelliten passieren würde, sollte SpaceX den Geschäftsbetrieb einstellen müssen. Wer würde dann dafür bezahlen, alle Satelliten aus dem Orbit zu holen, bevor es zu Kollisionen kommt und dadurch sehr viel Weltraummüll entsteht? 

Enrico Stoll: Der Weltraummüll ist ein großes Problem. Aufgrund der Fließbandproduktion und der damit sinkenden Kosten nimmt man auch größere Ausfallraten in Kauf. Leider gibt es aber bisher keine demonstrierte Fähigkeit der aktiven Entfernung von Weltraummüll. Wir vom Institut für Raumfahrtsysteme und viele andere Forschungsinstitutionen arbeiten daran. Es ist schwer einen inaktiven und damit taumelnden Satelliten einzufangen. Während es Lösungsversuche mit Roboterarmen, Harpunen und Netzen gibt, arbeiten wir an einem biologisch inspirierten Docking-Mechanismus. Dieser bildet die Kontaktflächen der Füße des Geckos mittels sogenannter Trocken-Adhäsive nach und soll damit unter anderem an Solarzellen von Satelliten haften können. Ende des Jahres möchten wir die Funktionsweise unter Mikrogravitation auf der ISS testen. 

VDI: Zuletzt sind andere Unternehmen mit ähnlichen Satelliten-Vorhaben gescheitert, Oneweb etwa ist zahlungsunfähig. Was macht SpaceX anders als die Konkurrenz?

Stefan Linke: SpaceX setzt auch bei Starklink auf die Prozesse, die das Unternehmen so erfolgreich gemacht haben. Die Satelliten kombinieren moderne Technik, sind sehr klein und leicht und so konstruiert, dass 60 Stück davon mit einem einzigen Falcon 9-Start in den Orbit transportiert werden können. Die erste Stufe dieser Falcon 9 hat dann immer noch ausreichend Treibstoffreserven, um zu landen und für den nächsten Start genutzt zu werden. Diese Kombination macht es SpaceX möglich, die Konstellation zu viel geringeren Preisen aufzubauen, als das andere können. 

Enrico Stoll: Man darf nicht vergessen, dass SpaceX viel Kapital im Rücken hat. Die Raketenstarts von SpaceX waren anfangs auch ein Verlustgeschäft. Man hatte die Finanzierung für 3 Starts, die ja bekanntermaßen Misserfolge waren. Danach wäre die Firma beinahe am Ende gewesen, hätte man nicht noch Geld für einen vierten „zusammenkratzen“ können.  

VDI: Welche Entwicklungen sind bei Satelliten zu erwarten? Wird es "intelligente" Satelliten geben, die sich komplett autark steuern? 

Enrico Stoll: Es gibt Bestrebungen, nicht nur raumfahrtqualifiziert Bauteile, sondern Komponenten von der Stange zu nehmen. Das spart Kosten, man kann terrestrische Fortschritte in miniaturisierten Technologien schneller einsetzen und damit schnell neue Satelliten-Generationen ins All bringen. Auch das Thema Künstliche Intelligenz wird eine größere Rolle spielen. Satelliten wurden früher von Hand operiert, es saßen mindestens 2 Ingenieure vor dem Bildschirm. Inzwischen gibt es teilautomatisierte Prozesse, aber von einer echten Autonomie sind wir noch weit entfernt. Wir müssen Strategien finden, wie man große Flotten mit wenig Überwachung operiert. Ausweichmanöver wird man aber auch weiter am Boden planen und kommandieren müssen. Einerseits hat man auf den Satelliten nicht die entsprechende Sensorik, um Space Debris schnell zu erkennen und andererseits bleibt bei Relativgeschwindigkeiten um die 10 km/s auch nicht genug Zeit, eine komplexe Bahnänderung vorzubereiten.  

VDI: Wie steht es um die Europäische Raumfahrt im internationalen Vergleich? Können die Europäer noch mithalten? 

Stefan Linke: Europa hat immer die Kooperation mit anderen Partnern groß geschrieben. Am intensivsten ist die Zusammenarbeit mit der NASA, aber auch mit Russland im Bereich der ISS und bei unbemannten Missionen wie ExoMars. Auch mit Japan, China und Indien werden gute Kontakte gepflegt. Europäische Beiträge genießen einen guten Ruf und im Bereich der unbemannten Weltraumforschung sind wir erstklassig. Das wird oft übersehen, da Europa kein eigenes spektakuläres Programm verfolgt. Europa ist aber in allen größeren Projekten mit Schlüsselkomponenten beteiligt. Beispiel hierfür sind das Europäische Service-Modul ESM des amerikanischen Orion-Raumschiff, mit dem das ARTEMIS-Programm durchgeführt wird, oder die Entwicklung von Modulen für die Raumstation Lunar Gateway, die in einer Mondumlaufbahn errichtet werden soll. Also: Ja, wir Europäer können noch mithalten. 

Enrico Stoll: Auf jeden Fall! Weitere Beispiele sind die Rosetta-Mission zum Kometen Tschurjumow-Gerassimenko, die nach 10 Jahren Reise den Lander Philae aussetze, das Automated Transfer Vehicle, welches Fracht zur ISS liefert und die Solar Orbiter-Mission, die sich mittels verschiedener Swing-Bys Energie von Venus und Erde holt, um in eine Bahn um die Sonne zu schwenken.  

VDI: Wird Deutschland mal einen eigenen Weltraumbahnhof etwa für Kleinsatelliten haben?

Stefan Linke: Grundsätzlich ist es möglich, einen eigenen Zugang zum Weltraum zu haben. Aber die Startmöglichkeiten wären ziemlich eingeschränkt, da ein Überflug der Raketen über bewohntem Gebiet nicht möglich ist. Daher ist eigentlich nur ein Startplatz in der Nähe der Nordsee mit Flugbahnen nach Nordwesten möglich. 

Enrico Stoll: Es ist nicht unbedingt so, dass man von klassischen Raketen und vertikalen Starts ausgehen muss. Ein deutscher Weltraumbahnhof könnte auch effizient arbeiten, wenn man die Raketen von einem Flugzeug startet. Ein solcher Flieger könnte dann in Richtung Nordsee starten und der Rakete einige Kilometer an Höhe abnehmen, bevor diese horizontal an der Unterseite des Flugzeuges startet.  

Interview: Peter Sieben

Ansprechpartner im VDI:
Dipl.-Ing. Simon Jäckel
VDI-Fachbereich Luft- und Raumfahrttechnik
E-Mail-Adresse: jaeckel@vdi.de

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