Direkt zum Inhalt
Interview: Kraftstoff der Zukunft

„Wasserstoff direkt an der Tankstelle erzeugen“

Bild: Steve Conrad

Die Diskussion über Nachhaltigkeit, Ressourcenknappheit und Umweltverträglichkeit im Transportsektor führt im automobilen Bereich zu stets neuen Herausforderungen für die Antriebstechnik. Für Prof. Dr. Thomas von Unwerth, Leiter der Professur Alternative Fahrzeugantriebe an der TU Chemnitz und Mitglied im VDI-Fachbereich Antrieb und Energiemanagement, ist Wasserstoff der Kraftstoff und Energiespeicher der Zukunft.

Das Thema „E-Fuels auf Wasserstoffbasis“ gewinnt langsam an Fahrt. Dennoch gibt es immer noch genug Zweifler. Warum?

Professor Thomas von Unwerth: Es gibt Leute, die halten bereits die Gewinnung von Wasserstoff für Energieverschwendung. Wasserstoff ist Grundlage für jedes E-Fuel. Wird er zusammen mit Kohlendioxid, das energieaufwendig aus der Atmosphäre gewonnen werden muss, im Sabatierprozess und weiteren chemischen Prozessen zu Synthetikkraftstoff, dann hat dieses E-Fuel einen schlechteren Wirkungsgrad als reiner Wasserstoff. Leute, die Wasserstoff für Energieverschwendung halten, für die sind E-Fuels es dann ganz gewiss. 

Also könnte man die Forschung an E-Fuels doch eigentlich einstellen?

von Unwerth: Ganz und gar nicht. E-Fuels haben beispielsweise ein Riesenpotenzial in Anwendungen, in denen hohe Leistungsdichten gefordert sind, etwa dem Flugverkehr. In allen Bereichen also, wo auch auf lange Sicht der Einsatz rein batterieelektrischer Antriebe und Wasserstoff eher nicht realistisch ist. Wann zum Beispiel E-Kerosin zum Einsatz kommen könnte, hängt davon ab, wie sich die Marktsituation entwickelt. Der Herstellungsprozess von E-Fuels ist nun mal aufwendig und damit teuer. 

Sie sprachen vom Einsatz von E-Fuels im Flugverkehr, bei der Hochseeschifffahrt und vielleicht auch beim Lkw-Fernverkehr. Sehen Sie keine Anwendungsmöglichkeit für den Individualverkehr?

von Unwerth: Derzeit ganz klar nein. E-Fuels in Diesel- oder Benzin-Pkw machen keinen Sinn und sind nicht zielführend. Es ist teuer und vor allem: Es bietet keine lokale Emissionsfreiheit etwa in den Innenstädten, aus denen wir das CO2 und andere Emissionen wie Stickoxide ja möglichst raushalten wollen. Es macht schlicht keinen Sinn, der Luft irgendwo auf dem Lande CO2 zu entziehen, um es dann mit den Pkw in die Städte zu bringen.

Wie sieht denn dann der Individualverkehr von morgen aus?

von Unwerth: Die Elektromobilität ist ja schon ein sehr guter Weg, wenn auch nicht in allen Bereichen und Anwendungen. Der nächste logische und konsequente Schritt für die Optimierung der E-Mobilität ist Wasserstoff in Verbindung mit einer Brennstoffzelle. Man kann die Batterien kleiner machen und hätte alle Komfortmerkmale, die wir heute kennen: Große Reichweiten, kurze Betankungszeiten und das gute Gefühl, emissionsfrei unterwegs zu sein.

Aber wie sieht es mit Tankstellen beim Wasserstoff aus?

von Unwerth: Man kann die bestehende Tankstelleninfrastruktur nutzen und dort Lager aufbauen. Man kann sie dann dezentral versorgen, es besteht jedoch auch in einigen Gegenden, wo erneuerbare Energien vor Ort erzeugt werden, die Möglichkeit, den Wasserstoff direkt an der Tankstelle zu erzeugen. Eine solche Anlage wird derzeit gerade in Chemnitz geplant.

Wasserstoff hat jedoch die Eigenart zu diffundieren. Wäre so ein Verlust Autofahrern zu vermitteln?

von Unwerth: Diese Angst kann ich Ihnen nehmen, denn es kommt darauf an, in welchem Aggregatzustand man ihn lagert. Wenn man den Wasserstoff gasförmig in Tanks lagert, diffundiert da fast nichts. Gasförmig ist Wasserstoff lange und nahezu verlustfrei speicherbar. Auch in den Fahrzeugen befinden sich Wasserstoffdrucktanks und die sind ebenfalls technisch dicht. 

„Es gibt nun mal eine Obergrenze für die physikalische Speicherfähigkeit von Batterien“

Warum fördert der Bund nicht E-Fuels?

von Unwerth: Alle Energieträger neben der Batterie wurden in den vergangenen Jahren stiefmütterlich behandelt. Nach den Signalen aus der Autoindustrie, dass man auf die Batterietechnik setzt, zog die Politik mit. Vor zehn Jahren sah es ja tatsächlich so aus, dass wir uns auf einem steilen Entwicklungsgradienten bewegen und viele gingen davon aus, dass sich die Batterietechnik genauso rasant weiterentwickelt wie beispielsweise die Chiptechnik. Manche behaupteten, auch die Batterien werden alle zwei Jahre eine doppelte Energiedichte haben. 

Und wie sieht es jetzt aus?

von Unwerth: Jetzt stellt man fest, dass man an physikalische Grenzen stößt. Lithium gibt eben nur ein Elektron ab, da beißt die Maus keinen Faden ab. Dilithium und Trilithium kenne ich nur aus der Science-Fiction-Serie Star Trek, das kommt in der Natur nicht vor. Es gibt nun mal eine Obergrenze für die physikalische Speicherfähigkeit von Batterien. An der sind wir zwar noch nicht, aber ein Ende ist absehbar. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Erkenntnis gewachsen ist, dass man neben einer rein batterieelektrischen Strategie auch eine für Wasserstoff und E-Fuels braucht. Wir müssen auf einen gesunden Mix setzen und nicht nur auf ein Pferd. Es war in meinen Augen ein fataler Fehler, die Forschung der letzten Jahre sehr einseitig in eine Richtung zu fördern. 

Sind alle Autohersteller zu stark in eine Richtung marschiert und haben in anderen Bereichen den Technologieanschluss verloren?

von Unwerth: Nein, ganz und gar nicht. Audi forscht sehr intensiv an der Brennstoffzelle und wird mit Neuheiten auf diesem Sektor aufwarten. Von BMW-Chef Oliver Zipse weiß ich, dass er ein Verfechter der Brennstoffzelle ist. Gerade Premiumhersteller – sehr lange vor allem Daimler – beschäftigen sich intensiv mit dem Thema. Ihre Fahrzeuge sind in der Regel groß und schwer, und genau hier macht die Brennstoffzelle gegenüber rein batterieelektrischen Fahrzeugen sehr viel mehr Sinn, allein schon aus Gewichts- und Reichweitengründen. Und die heute noch hohen Kosten bei der Fertigung von Brennstoffzellen werden sich mit steigenden Stückzahlen denen von Verbrennungsmotoren annähern und sich damit später auch ins untere Segment einführen. 

Was müsste passieren, damit wir bald viele Brennstoffzellenfahrzeuge auf den Straßen sehen? 

von Unwerth: Infrastruktur – alles steht und fällt mit der Infrastruktur. Ich bin mir sicher, dass wir alle heute noch keine Handys hätten, wenn nicht vorher jemand ein Netz aufgebaut hätte. Aber es ist unrealistisch, dass ein Unternehmen heute Milliarden in die Hand nimmt, auf die Brennstoffzelle setzt und sich sagt: „Mal sehen, was passiert“. China ist da schon einen Schritt weiter, indem es die Wasserstofftechnik mit 80 Prozent subventioniert. Da schießen plötzlich Firmen und Fahrzeuge aus dem Boden – und mit ihnen die Infrastruktur. Re-Fire etwa, ein Unternehmen, dass es vor drei Jahren noch gar nicht gab, produziert in Serie Brennstoffzellen. Und das würden sie nicht, wenn es keine Abnehmer dafür gäbe. Und je mehr Autos mit Brennstoffzellen produziert und verkauft werden, umso mehr wird die Infrastruktur ausgebaut. Dies macht die Technologie wiederum für andere potenzielle Käufer umso interessanter.

„Die Brennstoffzelle hat zwei Nachteile …“

Wozu brauche ich eigentlich noch eine Batterie im Auto, wenn allein die Brennstoffzelle für den Antrieb sorgen könnte?

von Unwerth: Brennstoffzellenfahrzeuge werden auch auf lange Sicht immer Hybridfahrzeuge sein. Die Brennstoffzelle hat zwei Nachteile: Sie ist nicht so dynamisch wie eine Batterie, das heißt sie stellt die Energie nicht ganz so schnell zur Verfügung. Das ist vielleicht vergleichbar mit dem Turboloch zu Anfang der Turbo-Ära. Um ein dynamisches Ansprechverhalten zu gewährleisten, braucht man noch die Batterie. Die braucht dann auch nicht groß sein, vielleicht zwei Kilowattstunden. Und eine Batterie kann rekuperieren, eine Brennstoffzelle nicht. 

Experten zufolge machen E-Fuels nur Sinn, wenn Strom aus erneuerbaren Energien eingesetzt wird.

von Unwerth: Das sehe ich ganz genau so. Das Gleiche gilt jedoch auch für die E-Mobilität. Solange man Energie nutzt, die aus primären Energieträgern wie Kohle oder Gas kommt, hat man gar nichts gewonnen, denn die Emissionen entstehen dann eben woanders. So kann man höchstens lokale Emissionen wie in Städten vermeiden. Aus Klimaperspektive werden die Emissionen jedoch einfach nur verlagert.

Hätten wir denn genug erneuerbare Energien für eine sauberere Mobilität von morgen?

von Unwerth: Ja, die Sonne liefert uns erheblich mehr Energie als wir aktuell weltweit verbrauchen. Und es gibt in gewissen Zeiten zwar einen Unterstand, oft jedoch auch einen Überstand. Statt also Windräder abzuschalten, weil schlicht zu viel Energie zur Verfügung steht, sollte man nach Möglichkeiten suchen, die überschüssige Energie zu speichern, um sie zu den Zeiten nutzen zu können, wenn sie benötigt wird. Und das kann man wunderbar mit Wasserstoff. Wasserstoff ist schließlich die Ausgangsbasis für synthetischen Kraftstoff aller Art – man könnte also aus dem Überschuss an erneuerbaren Energien bei Bedarf dann eben auch E-Fuels herstellen.

Wie traurig sind Sie, dass die Olympischen Spiele in Tokio in diesem Jahr ausfallen? Toyota wollte dort die Praxistauglichkeit der Brennstoffzelle ausgiebig demonstrieren.

von Unwerth: Darüber bin ich wirklich sehr traurig, zumal ich bereits dabei war, als die erste große Flotte Brennstoffzellenfahrzeuge schon zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking demonstriert wurde. Es geht dabei ja nicht nur um Fahrzeuge, die die gesamten Shuttledienste übernehmen sollten, sondern auch darum, die ganze Bandbreite an Anwendungsmöglichkeiten des Wasserstoffs zu demonstrieren. Dazu gehört auch, das Olympische Dorf nach den Spielen in über 5.000 Wohnungen umzuwandeln und sie mit Wasserstoff zu versorgen. Es ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt, was außer in Autos mit Wasserstoff alles möglich ist. Wasserstoff spielt eine enorm wichtige Rolle für die Energieversorgung der Zukunft. Wasserstoff kann für alle Art der Energiewandlung, die wir heute vornehmen, verwendet werden – Kraftwerke, Haushalte, Ladegeräte. Prinzipiell kann man überall Wasserstoff in Verbindung mit einer Brennstoffzelle einsetzen – das Thema „Sektorenkopplung“ wäre damit vollständig erledigt. Es ist eine Technologie, die uns enorm viele Vorteile bringt.

Interview: Peter Kellerhoff

Fachlicher Ansprechpartner:
Dipl.-Ing. Simon Jäckel
VDI-Gesellschaft Fahrzeug und Verkehrstechnik
E-Mail-Adresse: jaeckel@vdi.de

Artikel teilen
Teilen