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Automatisierung im Stadtverkehr: Fluch oder Segen?

Wie lässt sich der Verkehr künftig am besten „managen“, vor allem in den Großstädten? Was bedeutet die zunehmende Automatisierung für den Stadtverkehr? Im Gespräch mit dem VDI beantwortet Patric Stieler Fragen zur Realität und Zukunft des innerstädtischen Verkehrs. Er ist Leiter des Amts für Verkehrsmanagement der Stadt Köln und Mitglied im Fachbeirat „Verkehr und Umfeld“ der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik.

VDI: Herr Stieler, Sie leiten das Amt für Verkehrsmanagement. Welche Rolle spielt bei Ihren Überlegungen das Automatisierte Fahren?

Stieler: In unserem Amt beziehen wir alle dynamischen Einflüsse oder Eingriffe in den Verkehrsfluss ein – vom Parkleitsystem über die Verkehrsinfo bis hin zur Verkehrssteuerung, zur Baustellengenehmigung oder zu Lichtsignalanlagen. Unsere zentrale Frage lautet dabei: „Wie müssen wir die technischen Systeme aufbauen, um zukunftsfähig zu sein?“

Aktuell befinden wir uns in einer Vorstufe zur Automatisierung. Die Stufe 1 des Autonomen Fahrens ist in der Fahrzeugtechnologie schon weitgehend angekommen – angefangen von der Routenwahl über Abbiege- und Spurhaltehilfen bis hin zu Parkassistenten. Die meisten Fahrzeuge werden schon heute immer mehr in Routen gelenkt, wenn auch nicht autonom.

Mittelfristig wird der Verkehr so vermehrt gesteuert: Fahrzeuge erhalten Freislots zur Anfahrt und zu reservierten Parkplätzen, die sie auch direkt bezahlen können. Sie werden punktgenau geführt. Ich denke, diese Systeme der Lenkung, der Steuerung und der Bezahlung werden sehr schnell etabliert werden.

VDI: Bestimmte Formen der Verkehrssteuerung gibt es doch schon lange. So wird die Zufahrt zu Großveranstaltungen über Parkleitsysteme und Ausschilderungen gesteuert. Wo ist der Unterschied?

Stieler: Der Unterschied ist, dass Sie künftig genauer dosieren können. Wenn Sie früher das Schild per Hand aufgestellt haben, dann haben Sie 100 Prozent umgelenkt. Jetzt können Sie schnell und bedarfsgerecht steuern: 50 Prozent in die eine, 25 Prozent in die andere Richtung und so weiter. Damit schaffen Sie mehr Kapazitäten.

Ein automatisiert fahrendes Auto braucht hierfür allerdings eine Zieldefinition, also Antworten auf die Fragen: Was ist der Zielort? Welche Strecke soll genutzt werden? Das setzt (Echtzeit-)Interaktionen voraus: zur allgemeinen Verkehrslage, zu anderen Fahrzeugen, zu Bezahlsystemen, zu Gefahrenmeldungen.

VDI: Das klingt nach einer intensiven Interaktion mit dem Umfeld. Sind denn die Voraussetzungen dafür vorhanden?

Stieler: Ein vollautomatisiertes Fahrzeug benötigt eine umfassende Sensorik, um Gefahren und Hindernisse zu erkennen. Das ist sehr komplex, da unser Stadtverkehr stark durchmischt und mitunter sehr unübersichtlich ist. Der Mensch schaut über Fahrzeuge hinweg. Er kann durch Windschutzscheiben anderer Autos sehen und aufgrund seiner Erfahrung mögliche Gefahren „vorhersehen“. Als Mensch kenne ich zudem meine grüne Welle und adaptiere entsprechend. Ein weitgehend vollautomatisiertes Fahrzeug, das nicht mit einer Ampelanlage kommuniziert, wird nicht stadtkompatibel fahren können. Diese und andere Aspekte funktionieren also noch nicht.

Der Grund: Die nötigen Standards dafür, sprich die passende Infrastruktur, entsprechende Schnittstellen und ein reibungsloser Informationsfluss sind bis dato nicht gegeben. So haben etwa die Ampelanlagen in Köln einen Erneuerungszyklus von rund 20 Jahren. Bis automatisierte Fahrzeuge mit meinen Ampelanlagen reden können, vergehen Jahrzehnte. Zudem sind rechtliche Fragen und Sicherheitsaspekte des Datenaustauschs der Fahrzeuge untereinander und mit der Außenwelt noch nicht geklärt.

VDI: Das erweckt den Eindruck, als wäre die Zukunft alles andere als zum Greifen nahe. Gibt es positive Entwicklungen?

Stieler: Wir haben jetzt schon viele Komponenten, die den Stadtverkehr kurzfristig verändern werden: Assistenzsysteme, Reise-Informations- oder Buchungssysteme und intermodale Wegeketten. Zum Beispiel kann ich mein Mietfahrrad oder meine Ladesäule vorreservieren und sicherstellen, dass ich meinen P+R-Parkplatz auch um 7:15 Uhr noch habe. Oder ich buche die Fahrkarte direkt mit. Von diesem System werden wir kurz- und langfristig profitieren.

VDI: Lassen sich so die Probleme des Stadtverkehrs lösen?

Stieler: Die Vision des Stadtverkehrs ist doch, dass ich in der Stadt kein eigenes Fahrzeug mehr brauche. Der Fahrzeugbesitz wird in der Stadt zurückgedrängt und durch Sharing-Systeme ersetzt. Es geht um die bedarfsweise Bereitstellung von Fahrzeugen – in Ergänzung zum ÖPNV.

Das wäre eine weitere Evolutionsstufe des öffentlichen Verkehrs. Das bringt viele positive Effekte: (Park-)Flächen werden frei, der Kampf in den Straßenräumen um jede Parklücke endet. Das Car-Sharing garantiert eine schnellere Flottenmodernisierung, was wiederum die Emissionen senkt. Assistenz- und Automatisierungssysteme werden in den Sharing-Flotten schneller etabliert, als in den konventionellen Flotten. Das wiederum wird das Fahren sicherer machen, was sich positiv auf die Unfallzahlen auswirkt.

VDI: Was bedeutet die Automatisierung der Fahrzeuge perspektivisch für den Stadtverkehr?

Stieler: Die größten Befürchtungen aus städtischer Sicht sind die Ansprüche, die automatisierte Fahrzeuge an Stadt- oder Straßengestalt haben, die sozusagen die Lebensqualität oder die Raumnutzung einschränken. Unser Ziel ist es, Flächen einzusparen. Aber Autonomes Fahren braucht erstmal mehr Platz, etwa Fahrbahnen, die von jeglicher Störung befreit sind, Sonderfahrspuren und dergleichen.

Was mache ich mit einem automatisierten Fahrzeug, das auf einer Straße ohne Standstreifen fälschlicherweise eine Funktionsstörung feststellt? Das ist dann kein hochautomatisiertes Fahrzeug mehr. Der Algorithmus weist das Fahrzeug an, sich irgendwo sicher abzustellen. Solche Fragestellungen werden an die Städte herangetragen: „Ich komme hier mit einer neuen, tollen Technologie, aber bitte haltet mir genügend Nothaltebuchten frei.“

Zudem gibt es Szenarien, in denen die vollautomatisierten Fahrzeuge aufs Parken verzichten und stattdessen fahrerlos im Kreis fahren. Die On-Demand-Fahrzeuge sparen so zwar die Parkgebühren, verursachen jedoch mehr Emissionen. Oder stellen Sie sich 200 Besucher der Kölner Oper vor, die etwa zur gleichen Zeit 200 Wagen anfordern, die dem gleichen Algorithmus folgen.

So lange das alles nur in einem kleinen Prozentbereich stattfindet, spielt das keine große Rolle. Wenn man die Szenarien allerdings in großem Maßstab und zu Ende denkt, gibt es erheblichen Regulierungsbedarf.

Herr Stieler, wir danken Ihnen für das Interview.

Das Interview führte Gudrun Huneke.
Redaktion: Thomas Kresser

Zum Thema bietet der VDI am 12.12.2019 ein Policy Forum in Berlin an: Automatisiertes Fahren in der Smart City

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