Direkt zum Inhalt
Pop-up-Radwege und leichte Elektromobilität

„Verkehrstrennung ist eine wirksame Maßnahme für die Verkehrssicherheit“

Bild: Elisabeth Aardema/Shutterstock.com

Im Zuge der Corona-Krise ist es kurzfristig zu Veränderungen im Stadtverkehr gekommen, zum Beispiel entstanden Pop-up-Radwege. Führt dies zu nachhaltigen Veränderungen? Christof Kerkhoff, Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik, nimmt dazu und zur Rolle leichter Elektromobilität Stellung.

Ende 2019 haben Sie eine Umfrage zur leichten E-Mobilität durchgeführt. Welche wesentliche Erkenntnis hat diese ergeben? 

Kerkhoff: Wir haben mit der leichten Elektromobilität die Produktgruppen Pedelec/S-Pedelec sowie E-Scooter/Elektrotretroller abgefragt. Dabei haben wir festgestellt, dass hier noch eine große Unkenntnis herrscht, insbesondere was Einschätzungen zu den Kosten angeht. Für ein Lastenrad als E-Bike könnten sich manche vorstellen, 1.000 Euro auszugeben. Dafür gibt es tatsächlich nicht einmal ein Lastenrad ohne Elektroantrieb. Interessant war aber die Aussage, dass sich VDI-Mitglieder vorstellen können, künftig im Stadtverkehr auf das Auto zu verzichten und dafür Elektrofahrräder und Co. zu benutzen. Über 70 Prozent der Befragten sind grundsätzlich bereit, ihren Arbeitsweg mit einem leichten Elektrofahrzeug zurückzulegen.

Welche Faktoren spielen hierbei eine Rolle?

Kerkhoff: Entscheidende Faktoren für deren Nutzung sind dabei Wetter, Jahreszeit, gut ausgebaute Infrastruktur mit ausreichend Radwegen sowie bewachte Stellplätze und Lademöglichkeiten – insbesondere auch an den Schnittstellen zum ÖPNV. Das gilt aber nur für die Stadt. Auf dem Land ist die Bereitschaft, auf die leichte Elektromobilität umzusteigen, deutlich geringer als im urbanen Raum.

Mit Blick auf E-Scooter, E-Bikes und Pedelecs verändern sich auch die Geschwindigkeitsprofile. S-Pedelec sind beispielsweise mit 45 Stundenkilometer zu schnell für den Radweg, aber gleichzeitig zu langsam für den Stadtverkehr. Wie bekommen wir die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer und Geschwindigkeitsprofile künftig sicher im Stadtverkehr unter?

Kerkhoff: Das hatten wir so nicht abgefragt. Generell lässt sich sagen, dass die Geschwindigkeit verfügbarer Modelle von den Befragten nicht bemängelt wurde und scheinbar ausreichend ist. Es stimmt allerdings: Um in den eingezeichneten Zonen mitfahren zu können, ist man eigentlich immer ein bisschen zu langsam oder zu schnell. Da wird es auch auf Radschnellwegen immer wieder zu riskanten Überholmanövern kommen.

Die Geschwindigkeitsregelungen kommen ja teilweise aus der Zeit der Mofas, also den 1960er-Jahren. Ist das vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen noch gerechtfertigt?

Kerkhoff: Das ist eine Zeit, in der der Verkehr noch ganz anders aussah. Mit der Thematik sollte man sich tatsächlich, aber auch ganzheitlich beschäftigen. Die Diskussion zur Tempo-30-Zone in der Innenstadt ist ja bereits da. Ich meine damit aber nicht nur, dass die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten von Pkw und anderen Verkehrsteilnehmern hinterfragt werden sollten. Dabei muss auch bezüglich der Schutzmaßnahmen aktiv wie passiv für Rad- und Pedelec-Fahrer nachgedacht werden. In unserer Berliner Erklärung haben wir aber längst darauf hingewiesen, dass wir durch eine Helmpflicht bei Radfahrern die Zahl der jährlichen Verkehrstoten deutlich minimieren können. Hier sprechen die VDI-Experten von circa 50 Toten im Jahr. Momentan tut sich aber wenig, zumal wir längst wissen, dass Helme schützen. Das predigen wir auch unseren Kindern. Dazu braucht man auch keine komplizierte technische Lösung. Es muss nur mal einer sagen, wir setzen einen Helm auf dem Fahrrad auf. Das ist vor dem Hintergrund der zunehmenden Geschwindigkeiten enorm wichtig. Denn wenn ich von 25 auf über 30 Stundenkilometer gehe, erhöht sich die Verletzungsgefahr bei einem Sturz nicht linear, sondern exponentiell. Das sagen uns auch unsere Experten der Biomechanik und Unfallforschung von der Ludwig-Maximilian Universität in München. Hier lässt sich also mit einfachen Mitteln relativ viel erreichen. Das gilt übrigens auch für E-Scooter, also elektrisch betriebene Tretroller. Die sind mit 20 Stundenkilometer zwar etwas langsamer als Pedelecs, offenbaren jedoch ein deutlich wackligeres Fahr- und schlechteres Bremsverhalten.

Pop-up-Radwege finden zunehmend Aufmerksamkeit. Wie beurteilen Sie breitere Radwege zulasten des Autoverkehrs bezüglich Sicherheit und Flexibilität? 

Kerkhoff: Man spricht teilweise schon von Corona-Radwegen. Neben diesen Pop-up-Radwegen werden ja im Moment einige Konzepte mit getrennten Fahrspuren getestet. Beispielsweise gibt es in Düsseldorf eine Umweltspur die von Fahrrädern, Bussen, Taxen und Elektroautos genutzt werden dürfen. Da fährt dann ein Tesla mit vielleicht 225 Kilowatt Motorleistung auf derselben Spur wie ein Elektrorad mit 250 Watt. Im Grunde genommen kann darauf auch ein Hybridfahrzeug fahren, welches ein E-Kennzeichen hat, egal ob es gerade mit Strom oder Verbrennungsmotor fährt. Das kann es eigentlich nicht sein.

Zurück zu den reinen Radwegen. Werden sich Pop-up-Strecken durchsetzen?

Kerkhoff: Ich glaube nicht, dass sich das in den nächsten Jahren durchsetzen wird. Natürlich kommt es ganz auf die Region an, in der man diese installiert. Trotz der aktuellen Zunahme im Radverkehr ist gerade jetzt das Auto das Verkehrsmittel Nummer Eins. Zwar ist der gesamte individuelle Pendelverkehr durch die Arbeit im Homeoffice zwischenzeitlich deutlich weniger geworden. Das gilt in der Corona-Zeit aber auch gerade für den öffentlichen Nahverkehr, der überproportional stark an Zuspruch verloren hat. Infektionsschutz und Flexibilität sprechen für das Auto.

Verkehrssicherheit steht immer im Vordergrund

Wie wichtig ist demnach die Trennung der Verkehrsmittel im Stadtverkehr?

Kerkhoff: Verkehrstrennung ist für die Verkehrssicherheit eine wirksame Maßnahme. Das sagen wir auch in der Berliner Erklärung. Statt Mischspuren macht es Sinn diese für unterschiedliche Verkehrsteilnehmer einzurichten, insbesondere für diejenigen die schwach und somit verletzungsgefährdet sind. Es ist gewiss immer die Frage, inwiefern sich das baulich umsetzten lässt. Bei mehrspurigen Straßen habe ich natürlich weniger Probleme, weil ich da eine Spur für Autos wegnehmen kann und der Verkehr trotzdem weiter fließen kann. Hier kann es dann aber eventuell Probleme wegen der Verkehrsmenge geben und Stau oder stockender Verkehr die Folge sein. Wenn ich nur eine Spur pro Richtung habe, dann bin ich schnell beim Einbahnstraßenverkehr. Das wird also ein Lernprozess werden, der ein generelles Umdenken erfordert. Was autofreie Städte oder Stadtgebiete angeht, gibt es ja einige Vorbilder wie Kopenhagen. Andere Städte wie London versuchen das über teure Einfahrtsgebühren für Kfz zu regeln, aber wirklich leerer ist es dadurch nach meinem Eindruck nicht geworden. Es gibt also mehr oder weniger wirksame Steuerungssysteme. 

Welche zusätzlichen Veränderungen sind von autonomen Fahrzeugen zu erwarten? 

Kerkhoff: Natürlich beschäftigen wir uns unter Sicherheitsaspekten sehr stark mit dem automatisierten und autonomen Fahren und wo es überhaupt zeitnah umzusetzen ist. Am ehesten werden wohl Shuttles kommen, mit definierten Wegen, definierten Haltepunkten und relativ niedrigen Geschwindigkeiten. Da sind die Anforderungen nicht so komplex. Diese werden wir vorwiegend im städtischen Verkehr sehen oder auf ausgewählten Routen im ländlichen Bereich. Auch da halten Experten eine Trennung von anderen Verkehrsmitteln für sinnvoll. Aber der Platz muss halt da sein. Die Shuttles kann man dann auch über einen Leitstand steuern, von dem aus auch jemand einen Notausschalter betätigen kann. Dann wird kein Sicherheitsfahrer im Fahrzeug benötigt. Im Gesamtbild macht es die Planung auf der Straße aber nicht einfacher, weil noch ein zusätzliches Konzept hinzukommt. Unsere Experten sagen deshalb auch, dass automatisiertes Fahren nicht unfallfrei sein wird, solange wir uns im Mischverkehr bewegen. Wenn ich dafür eine eigene Spur habe ist das sicher, mal von Personen abgesehen, die eventuell vorsätzlich vor das Fahrzeug rennen. Dazu kommen Befürchtungen, dass Menschen erwarten, dass das Fahrzeug ja automatisch stoppt und dann noch schnell davor ziehen.

Fahrerlose Transportsysteme funktionieren bereits in der Lagerlogistik

Und wie sieht es mit autonomen Logistikfahrzeugen aus?

Kerkhoff: Die habe ich noch nicht mit einbezogen. Da sind demnach viele Fragen offen, etwa wie schnell diese fahren, wie groß sie sind, also ob das typische Transportfahrzeuge nur eben mit Elektroantrieb sind. In unseren Expertengruppen hatten wir dazu bereits Simulationen laufen. Da fährt der Paketbote zum Beispiel längere Strecken im Auto und bei der Auslieferung in einer Straße folgt das Fahrzeug ihm dann von Tür zu Tür. Das ist quasi ein begleitendes Fahren, welches die Lieferprozesse erleichtern kann. Bei den kleineren Lieferfahrzeugen geht es dann eher um Individualzustellung. Vor allem muss dann am Ziel eine Person anwesend sein, die das Fahrzeug entlädt. In der Fabriklogistik sehen wir, dass das mit fahrerlosen Transportsystemen schon seit vielen Jahren sehr gut funktioniert. Da ist man aber auf einem Privatgelände. Da gelten andere Regeln, und es gibt geschultes Personal. Im öffentlichen Raum fehlt dazu noch die die entsprechende Sensibilität und Kenntnis über autonome Fahrzeuge. Das wird auch ein Lernprozess sein.

Sind die deutschen Städte auf die Mobilität der Zukunft vorbereitet? 

Kerkhoff: Was den Bestand angeht, so stehen wir mit unseren über Jahrhunderte gewachsenen Stadtstrukturen vor großen Herausforderungen. Die haben wir übrigens fast überall in Europa. Da ist es in Ländern wie China und Saudi-Arabien einfacher. Dort wird viel Neues aus dem Boden gestampft. Da gibt es andere Rahmenbedingungen, aber gleichzeitig auch ein totalitäres System. Das sollten wir uns aber keinesfalls zum Vorbild nehmen. Dazu kommen bei uns Gewohnheiten, die gerade hinsichtlich der Mobilität extrem ausgeprägt sind. Diese haben sich über Jahre festgesetzt. In der Innenstadt kommen bauliche Schwierigkeiten hinzu. Sie können oft nicht mehr unter die Erde gehen, weil dort schon so viele Rohre von Ver- und Entsorgungsleitungen sind, dass es unwirtschaftlich wird noch tiefer zu gehen. Unten ist also auch nicht mehr viel Platz und oben wollen wir nun noch eine verbesserte Aufenthaltsqualität und die Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer sicherstellen. Das erfordert im Bestand Kompromisse.

Und wie sieht es mit einer autogerechten Planung aus?

Kerkhoff: Reine autogerechte Stadtplanungen, wie sie nach dem 2. Weltkrieg in Städten wie Kassel gemacht wurden, wird es aber sicher nicht mehr geben. Damals wurden beispielsweise extra viele Unterführungen und mehrspurige Straßen gebaut, damit der Automobilverkehr nicht gestört wird. Da ging es weniger darum, dass Fußgänger schnell auf die andere Straßenseite kommen, sondern darum, dass Autos nicht anhalten müssen. Das ist passé. Denn diese Art der Planung frisst unheimlich viel Fläche. Dies wird es so heute in Deutschland nicht mehr geben.

Wie lassen sich Verkehrsräume in der Stadt sonst noch verbessern?

Kerkhoff: Dazu können Sharing-Konzepte beitragen, bei denen sich Menschen ein Fahrzeug teilen. Auch eine Angebotserhöhung im OPNV würde Entlastung für den Verkehr in den Städten bringen. Oft muss man da heute noch viel Zeit einplanen. Hier könnte eine Taktverdichtung helfen und die Fahrpläne der einzelnen Anbieter müssen hier noch besser aufeinander abgestimmt werden. Stichwort ist hier der integrale Taktfahrplan. Aber in der derzeitigen Situation wird wohl kaum jemand zusätzliche Fahrten anbieten, um von einem 30-Minuten-Takt auf einen 15-Minuten-Takt zu kommen. Eine Möglichkeit, über die in vielen deutschen Städten nachgedacht wird, ist es, mit urbanen Seilschwebebahnen eine neue Verkehrsebene zu schaffen und den üblichen Stadtverkehr staufrei zu überfliegen. Hierzu haben wir einen Statusreport veröffentlicht. Unabhängig vom Verkehrsmittel gibt es aber noch einen Weg. Mein Chef an der Uni sagte schon damals: Wir haben eigentlich keine Engpässe, was unsere Straßeninfrastruktur angeht, wir haben nur falsche Arbeitszeitmodelle. Das heißt: Wir sind zum größten Teil von 8 bis 17 Uhr auf der Arbeit. Dafür sind zu anderen Zeiten die Verkehrsnetze ziemlich leer. Wenn wir da eine bessere Verteilung hinbekämen, hätten wir selbst bei steigenden Verkehrszahlen kein Problem. Das gilt sowohl für den Individualverkehr als auch für den in den Hauptverkehrszeiten auf den Hauptachsen vielfach überfüllten öffentlichen Verkehr.

Interview: Martin Ciupek

Ansprechpartner im VDI:
Dipl.-Ing. Christof Kerkhoff
VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik
E-Mail-Adresse: kerkhoff@vdi.de

Artikel teilen