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Interdisziplinär zur zirkulären Wertschöpfung

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Neben Ingenieur*innen sind auch Expert*innen anderer Disziplinen Mitglied im VDI und bereichern die Facharbeit. Naemi Denz und Susanne Weisheit stellen hier Lilo Thielen im Interview vor, eine weitere Expertin aus der Projektgruppe der zirkulären Wertschöpfung. Aspekte der Kreislaufwirtschaft sind auch für die Diplomkauffrau wichtige Elemente der internationalen Entwicklungen in Marketing, Vertrieb und Beschaffung. Sie schätzt an dem interdisziplinären Arbeitskreis unter Beteiligung des VDI, VDE und der IHK die fruchtbare Zusammenarbeit aufgrund der unterschiedlichen Expertisen.

Going Circular – der Zukunftstrend zirkuläre Wertschöpfung

  • Lilo Thielen (LT) ist selbständige Unternehmensberaterin u. a. mit dem Fokus Geschäftspartnersuche und -Management sowie Autorin im internationalen Kontext.   
  • Naemi Denz (ND) ist Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung bei der Steinert GmbH, einem Hersteller von intelligenten Sortiertechnologien.
  • Susanne Weisheit (SW) ist Inhaberin von rethinking organisations, einer Beratungsagentur für die empathische Begleitung von Veränderungsprozessen in Unternehmen.

Interview

ND: Mehrweg versus Einweg, Kunststoff im Meer, die nur bedingte Verfügbarkeit von Technologiemetallen – der Trend zur zirkulären Wertschöpfung wird heute in der Öffentlichkeit diskutiert. Ist das Thema neu für dich?

LT:

Zirkuläre Wertschöpfung oder Circular Economy ist ein vielschichtiger und vor allem globaler Themenkomplex, der mich seit einigen Jahren zunehmend „gepackt“ hat.

Vorab: Die Transformation der Energiewirtschaft und Themen wie Erneuerbare Energien,  Speichertechnik und umweltfreundliche Technologien im Allgemeinen führten mich im Rahmen von Projektarbeiten bereits vor mehr als 10 Jahren zum Klima- und Umweltschutz. Dabei ging es im Kern um Fragen des internationalen Marktaufbaus. Zirkuläre Wertschöpfung, Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz sind ja Themen, die eng beieinander liegen und Schnittmengen haben.

Wenn ich mich dann weiter erinnere: Das Thema „Mehrweg“ – genau genommen Mehrwegcontainer -  kombiniert mit passenden Logistiklösungen war zudem in meiner früheren Tätigkeit als Exportmanagerin in einer international tätigen Chemiehandelsorganisation vor rund 20 Jahren mehr als nur eine spannende Vertriebsaufgabe, die wir in bereichsübergreifenden technisch-kaufmännischen Teams angingen.   

Kurzum: Umweltfreundliche Rohstoffe und Lösungen für unterschiedliche Anwendungen und Branchen spielten über die Jahre schon immer eine besondere Rolle in meiner beruflichen Tätigkeit.   

Wie gut kenne ich meine Wertschöpfungskette? Ändern sich z.B. Erfolgs- bzw. Suchkriterien und -profile für neue Partnerschaften? Welche Herausforderungen oder Chancen können sich für Unternehmen ergeben? Das sind Fragen, die mich aus Unternehmensperspektive aktuell besonders umtreiben.

Dabei sehe ich mich gerne als „lernendes Wesen“ und Generalistin. Denn in diesem dynamischen Umfeld gibt es ständig etwas dazuzulernen und neue Erfahrungen zu sammeln sowie Wissen mit anderen „Gleichgesinnten“ auszutauschen. Ein Beispiel: Der interdisziplinäre Arbeitskreis Zirkuläre Wertschöpfung unter Beteiligung des VDI, VDE und der IHK, jeweils Köln, der seit Anfang 2020 besteht und den ich sehr schätze.

SW: Das klingt nach Bohren dicker Bretter?! Und nach der Notwendigkeit, dass sich Unternehmen verändern, sowohl bezüglich der Arbeitsweise als auch des eigenen Geschäftsmodells.

LT:

In der Tat, im Kern sehe ich das so. Und das aus verschiedenen Gründen: Zum einen vor dem Hintergrund zunehmender Regulatorik, mit denen Unternehmen auch im globalen Kontext zusehends konfrontiert sind. Die politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen können sich selbst innerhalb der EU von Land zu Land unterscheiden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Erweiterte Herstellerverantwortung. Zum anderen: die Ansprüche diverser Stakeholder-Gruppen, z.B. Kunden, Mitarbeiter, Kapitalgeber, die Nachhaltigkeit & Co. mehr und mehr als Entscheidungskriterium einbeziehen oder sogar stärker in den Fokus setzen.

Kurz noch ein paar Worte zur EU und sich verschärfender Regulatorik: Der Weg zu einer kreislauforientierten Wirtschaft - statt dem linearen Wirtschaften - ist seitens der  EU ein wichtiger Ansatz und ein zentraler Baustein des European Green Deal. Eine Reihe von Maßnahmen dürften noch dieses Jahr auf den Weg gebracht werden bzw. sind bereits angestoßen und erfahren Konkretisierungen (z.B. zum Aktionsplan der EU zur Kreislaufwirtschaft, Update der EU-Batterie-Richtlinie, Right to Repair, Ausweitung der Ökodesign-Richtlinie usw.). Dabei stehen bestimmte Stoffströme im Fokus. 

Manche Länder sind da weiter als wir. Glücklicherweise nimmt das Thema aber auch hierzulande an Fahrt auf.

Gerade international agierende Unternehmen haben da einiges zu stemmen. Ggf. müssen Zielmärkte und Partner neu justiert werden und Organisation und Prozesse (z.B. Logistik, Entsorgung) im In- und Ausland neu ausgerichtet oder angepasst werden. Vielleicht „rentieren“ sich bestehende Produkte und Leistungen nicht mehr. Akteure der Wertschöpfungskette, die vorher nicht miteinander zu tun haben, sollten jetzt miteinander „reden“. Auch zum Themenkomplex „unternehmerische Sorgfaltspflichten“ sehe ich Schnittmengen.

Die aktuelle Geschäftstätigkeit und bestehende Wertschöpfungsketten durchleuchten, neue Geschäftsmodelle ggf. andenken, ich denke z.B. an das derzeit diskutierte „Product ownership“ bzw. „as a Service“-Lösungen - wie Produkt as a Service (Paas) oder Software as a Service  (Saas) - , sind solche Beispiele. Solche Modelle stellen möglicherweise das ganze Unternehmen „auf den Kopf“ und bedürfen u.a. neue Ressourcen und Kompetenzen. Deutlich wird das z.B. bei der Digitalisierung.

Kreislaufwirtschaft bedeutet eben nicht nur Umgang mit Abfall sondern deutlich mehr. Und da gibt es zahlreiche potentielle Ansätze und Konzepte. Aber ohne passenden politisch-rechtlichen Rahmen auch auf internationaler Ebene möglichst harmonisiert wird es schwierig.

Letztendlich: Es gibt keine one-fits-all-Lösung. Aber eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich dem Thema anzunähern. Am Anfang stehen meiner Meinung nach das Verständnis und die Bereitschaft für Veränderung. Wo steht man? Wo will man wie wohin? Wie kann man das stemmen? Und da gibt es zusehends mehr - teilweise auch kostenlose - Unterstützungs- und Vernetzungsangebote auch für KMU. Ein Beispiel: Die Veranstaltungsreihe „Circular Economy SMEs across Europe“, die gerade startet.

SW: Offensichtlich gibt es eine Reihe Unternehmen, die schon sehr früh auf zirkuläre Wertschöpfung gesetzt haben. Was macht solche Unternehmen aus deiner Sicht aus?

LT:

Die Wege, sich als Unternehmen einer zirkulären Wirtschaft anzunähern, können sehr unterschiedlich sein. Größere Unternehmen mögen da vielleicht schon auch aufgrund der personellen und finanziellen Ressourcenausstattung sowie strategischer Herangehensweisen gewisse Vorteile haben.

Unternehmen aus der Entsorgungs- bzw. Recyclingwirtschaft mögen augenscheinlich thematisch zunächst enger dran sein, ebenso vielleicht auch Unternehmen aus der Chemie- und Kunststoff- oder der Elektro- / Elektronikbranche, z.B. auch aufgrund der öffentlichen Diskussion und des zunehmenden Umfeld-Drucks von Markt und Regulatorik.

Grundsätzlich denke ich aber: Das richtige Mindset und offene Innovations- und Unternehmenskultur, visionäres Denken, das Integrieren relevanter Stakeholder-Gruppen wie Mitarbeiter und Kunden, Bereitschaft zum Öffnen, auch für neu, vielleicht branchenfremde Partnerschaften sind für mich einige zentrale Schlagwörter in dem Kontext. Nicht nur reaktiv sondern proaktiv tätig werden. Den „Menschen“ sehe ich dabei als einen zentralen Dreh- und Angelpunkt für das Gelingen.

Die Unternehmensleitung spielt meiner Meinung nach eine zentrale Rolle, z.B. als Treiber und Katalysator, auch unter Berücksichtigung eines „gesunden Risikomanagement-Ansatzes“.

ND: Herausforderungen und Trends gibt es viele auf der Welt. Warum treibt dich gerade die zirkuläre Wertschöpfung so um?

LT:

Eine funktionierende zirkuläre Wirtschaft bildet eine zentrale Säule für Klima- und Umweltschutz und trägt somit auch dazu bei, unsere Lebensgrundlage und die der zukünftigen Generationen zu sichern. Und das sehe ich als große internationale Herausforderung für uns alle, …und auch Chance zugleich.

In einer kreislauforientierten Wirtschaft können meiner Meinung nach nur gemeinsam Dinge angegangen und bewältigt werden. Ein Blick nach vorne zu richten, was die Gesellschaft und Unternehmen auf dieser Welt bewegen und in Zukunft bewegen mag, neue Dinge anzustoßen und beizutragen, dass neue Dinge entstehen, ist und war mir schon immer ein wichtiges Anliegen, beruflich und privat.

Naemi Denz

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