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Erdwärme vom Acker

Bringt Agrothermie die Wärmewende?

Bild: TU Dresden/Doppelacker GmbH

Erdwärmesysteme sind eine Schlüsseltechnologie für die klimagerechte Wärme- und Kälteversorgung. Doch wer denkt dabei an Landwirtschaft?

In Zeiten der Energiewende könnte Landwirten eine völlig neue Rolle zukommen: Tragen sie seit Jahrtausenden mit Ackerfrüchten zur Lebensmittelversorgung der Menschen bei, geht es jetzt eine Stufe weiter oder besser gesagt tiefer. Ein neues Technologiekonzept für erdgekoppelte Flächenkollektoren ist auf dem besten Weg, den Einsatz fossiler Energieträger im Wärme-/Kältesektor zu verringern beziehungsweise abzulösen. Diese Form des Erdwärmeaufschlusses, bei der Wärme oder Kälte aus dem Boden landwirtschaftlicher Nutzflächen in zwei Metern Tiefe „geerntet“ wird, nennt sich Agrothermie.

Agrothermie – Erdwärme vom Acker

Das Technologiekonzept zur Agrothermie ist die energetische und pflanzenbauliche Doppelnutzung ein und derselben landwirtschaftlichen Nutzfläche. Durch die lokale Wertschöpfung liefert Agrothermie einen wesentlichen Beitrag zur Wärmewende und damit zum Klimaschutz. Die Professur für Agrarsystemtechnik der TU Dresden hat dieses Potenzial gemeinsam mit der Doppelacker GmbH Petershagen im Rahmen des 7. Energieforschungsprogramms der Bundesregierung erkannt und arbeitet nun an der technischen Umsetzung.

Um oberflächennahe Geothermie landwirtschaftlicher Nutzflächen zu erschließen, verlegt ein Spezialpflug Erdkollektorrohre in zwei Metern Tiefe. Die Bodentemperaturkurve bewegt sich dort zwischen etwa 5 Grad im Winter bis 15 Grad im Sommer. Kollektoren fungieren dabei als Wärmetauscher und leiten die entzogene Erdwärme dem Kaltwärmenetz zu, das über Hausübergabestationen Wärmepumpen beziehungsweise Kältemaschinen versorgt. Als Rückkühler sind die Kollektoren ebenfalls nutzbar.

400 Megawattstunden Erdwärme pro Hektar und Jahr

Im Vergleich zu kleinen Grundstücken von Einfamilienhäusern erlauben es landwirtschaftliche Nutzflächen, wesentlich größere Kollektoranlagen zu errichten und könnten damit einen entscheidenden Beitrag zur Wärme- und damit zur Energiewende leisten. Bei einem pauschalierten Ansatz der Wärmeentzugsleistung von 200 Kilowatt pro Hektar und 2.000 Vollbetriebsstunden pro Jahr liefert ein Hektar 400.000 Kilowattstunden thermische Energie. Das ersetzt 40.000 Liter Heizöl und spart circa 84 Tonnen Kohlendioxid im Jahr. Stände eine Erschließungsfläche etwa im Umfang von Schleswig-Holstein zur Verfügung, ließe sich damit - im Äquivalent - der bundesweite Bedarf an Raumheizung und Warmwasserbereitung aller privaten Haushalte decken.

Die Verlegetechnik ist ein entscheidender Faktor

Professor Thomas Herlitzius, im VDI ehrenamtlich tätig als Leiter des Arbeitskreises Agrarsystemtechnik (Dresdner Bezirksverein) der Max-Eyth-Gesellschaft Agrartechnik, erforscht und erprobt seit 2008 mit seinem Institut die Umsetzung des Technologiekonzepts zur Agrothermienutzung. Da der Markt weltweit keine geeigneten Pflüge oder Fräsen zum Verlegen der Kollektorrohre anbietet, hat sich Herlitzius zu einer Eigenentwicklung entschlossen und arbeitet dazu mit der Doppelacker GmbH zusammen. „Das aktuell eingesetzte Maschinensystem, der sogenannte Kollektorweber, bringt die Flächenkollektoren so in den Ackerboden ein, dass sie mit zwei Metern weit unterhalb der Wurzeltiefe einschlägiger Kulturpflanzen liegen. Damit ist sichergestellt, dass es nicht zu Kollisionen mit anderen, landwirtschaftlichen Bodenbearbeitungsmaschinen kommt und landwirtschaftliche Nutzung direkt nach Verlegung ungehindert fortgesetzt werden kann,“ erläutert Herlitzius das Verfahren.

Der Kollektorweber mit circa 25 Tonnen Eigengewicht lässt sich auf gängigen Tiefladern transportieren. Durch seine in Fahrtrichtung gerichteten Vibrationen, integriert im Bodenwerkzeug, verringert sich der Zugkraftbedarf. Die Verlegung erfolgt gestützt durch Real Time Kinematik und wird protokolliert. Lösungen zum Hindernismanagement, die Fernbedienung von Teilfunktionen und der Einsatz von Sensoren zur digitale Auswertung runden die technischen Möglichkeiten des Kollektorwebers ab. Im Jahr 2021 begann die schrittweise Inbetriebnahme und Prüfung der Funktionsbaugruppen. Nach diversen Versuchsreihen unter Feldbedingungen ist der Kollektorweber mittlerweile einsatzfähig, aber noch nicht marktreif. Herlitzius und die Entwickler von Doppelacker haben ein gemeinsames Ziel: „Zu einer Marktreife für die Verlegetechnik könnten wir ab 2026 kommen.“

„Wir brauchen ein belastbares Anlagenbetriebsmonitoring“

Damit der Kollektorweber verbreitet zum Einsatz kommen kann, fehle laut Jens Kluge, Geschäftsführer der Doppelacker GmbH, ein qualifiziertes Betriebsmonitoring der Pilot- und Referenzanlagen im schwäbischen Wüstenrot und oberpfälzischen Neumarkt. Die Anlagen sind seit dem Jahr 2012 beziehungsweise 2015 in Betrieb. „Die messtechnische Lücke zur rechtskräftigen Verbrauchsmessung der im Kollektor sowie im Netz befindlichen Sole, einem Wasser-Glykol-Gemisch, ist inzwischen durch die Physikalisch Technische Bundesanstalt Braunschweig ausgeräumt“, ergänzt Kluge. Auf eine weitere, noch offene Frage verweist Herlitzius: „Es geht darüber hinaus darum, wissenschaftlich zu untersuchen, welche Technologiefolgen und Umweltwirkungen mit dieser Art der Erdwärmenutzung verbunden sind.“

Mit Blick auf die Zukunft ist er optimistisch: „Die Marktnachfrage hält seit Wüstenrot an. Beständig gehen uns Anfragen Interessierter zu, die annehmen, die Lösung sei schon Stand der Technik.“ Doch bevor nicht wissenschaftlich belastbare Antworten auf die offenen Fragen gefunden seien, bedürfe es noch der fachgerechten Vermessung des Betriebs von Pilotanlagen in industrieadäquater Skalierung.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördert das laufende Projekt „Heizen und Kühlen mit einem Netz – Technik für geothermische Infrastruktur“ mit fünf Millionen Euro.

Autorin: Alice Quack

Temperaturverteilung im Boden

Gastkommentar zum Beitrag von Prof. Dr. Thomas Foken, Universität Bayreuth

Wärmepumpen sind ein sehr effektives Mittel zur Wärmegewinnung, vor allem dann, wenn die Wärmequelle nahezu unerschöpflich ist wie Luft, fließendes Grundwasser oder Geothermie. Kritischer muss man oberflächennahe Wärmekollektoren im Boden sehen. Betrachtet man Strahlungs- und Energieflüsse im Klimasystem, wie sie in jedem Meteorologie- oder Klimatologiebuch enthalten sind, so vermisst man Angaben zum Boden. Ursache ist, dass der Boden sich im Sommerhalbjahr erwärmt und diese Wärme im Winter wieder an die Luft bzw. zur Verdunstung von Wasser abgibt. Es findet also kein Energiegewinn statt. Im Tagesgang erwärmt sich der Boden von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang und danach kühlt er sich wieder ab. Da im Sommer in unseren Breiten bis zu 15 Stunden Sonnenschein sind, erwärmt sich der Boden besonders stark. Wegen der geringen Wärmeleitung des Bodens kommt diese Wärme in 10 m Tiefe aber erst im Winter an. Im Winter mit nur maximal 7 Std. Sonnenschein kühlt sich der Boden besonders stark ab, zumal der Einfallswinkel der Sonne gering ist und es häufig trüb ist. Somit haben wir eine Erwärmung des Bodens von Ende März bis Anfang September und eine Abkühlung im Winterhalbjahr. Dieser Sachbestand ist seit etwa 100 Jahren in den entsprechenden Fachbüchern und der Fachliteratur dokumentiert.

In der VDI 4640 Blatt 2 „Thermische Nutzung des Untergrunds - Erdgekoppelte Wärmepumpenanlagen" sind „Maximalwerte der flächenspezifischen Entzugsleistung und Entzugsenergie“ angegeben. Zur Erreichung dieser Werte ist auf eine gute Durchfeuchtung des Bodens zu achten, denn dann sind Wärmekapazität und Wärmeleitung besonders hoch. Diese Maximalwerte entsprechen dem Energieeintrag in den Boden in den Sommermonaten. Im Winter kühlt sich der Boden mit etwa gleichen Werten ab. Diese Abkühlungsraten in der Heizperiode muss man bei der Dimensionierung von Wärmekollektoren berücksichtigen. Am besten wäre es, man überprüft vor einer Investition die im Winter zur Verfügung stehende Wärmeenergie durch Messprogramme der Bodentemperatur, der Bodenfeuchte und des Bodenwärmestromes. Im Jahr 2024 wird eine von einer Arbeitsgruppe des VDI und des DIN erarbeitete Richtlinie zur Messung dieser Größen als VDI 3786 Blatt 25 "Umweltmeteorologie; Temperatur- und Feuchtemessungen im Boden" im Entwurf erscheinen. Grund für die Erstellung der Richtlinie war allerdings die durch den Klimawandel hervorgerufene stärkere Bedeutung der Bodeneigenschaften bei Ausbreitungsrechnungen und in der Stadtklimatologie.

Fachlicher Ansprechpartner:
Dr. Andreas Herrmann
VDI-Fachbereich Max-Eyth-Gesellschaft Agrartechnik
E-Mail: herrmann@vdi.de

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