Die gelebte Solidarität in unserer Gesellschaft ist beeindruckend
Die Corona-Krise stellt die Globalisierung auf den Prüfstand. VDI-Präsident Volker Kefer sieht die Situation als große Herausforderung aber auch als Chance. Nie hat interdisziplinäre und kooperative Zusammenarbeit enger stattgefunden als heute. Im Interview spricht er über die Lage des Technikstandorts Deutschland und darüber, was nach der Krise anders sein wird.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage des Technologiestandorts Deutschland?
Es mag etwas sonderbar klingen, aber die derzeitige Krise ist Herausforderung und Chance zugleich. Wir erleben nahezu täglich, dass Entwicklungen, die schon vorher notwendig waren, enorm beschleunigt werden. Das gilt insbesondere für das große Feld der Digitalisierung, das derzeit einen enormen Aufschwung erlebt. Wenn es die verschiedenen digitalen Kommunikationsplattformen, etwa für Homeoffice, nicht gäbe, würde die Arbeit in vielen Unternehmen nicht mehr stattfinden. Online Learning für Schüler*innen wäre nicht möglich. Es zeigt sich in einer solchen Krise aber auch, dass wir auf diesem Sektor in Deutschland immer noch erheblichen Nachholbedarf haben.
Dieser wird jetzt wesentlich schneller angegangen. Produktionsumstellungen sind plötzlich viel schneller möglich. Davon wird die produzierende Industrie sicher auch nach Corona profitieren. Lieferketten und die damit verbundenen Abhängigkeiten werden neu überprüft und womöglich neu gestaltet. Die ungehemmte Globalisierung steht auf dem Prüfstand. Die Krise fördert kooperative Zusammenarbeit und Interdisziplinarität. Forschende Institutionen und Universitätskliniken tauschen plötzlich ihre Daten aus, um die Epidemie einzudämmen und Medikamente bzw. Impfstoffe beschleunigt zu entwickeln. Plötzlich gibt es eine bundesweite Plattform, die darüber informiert, wo wie viele Intensivbetten und Beatmungskapazitäten zur Verfügung stehen.
Dies sind alles Entwicklungen, an denen Ingenieurinnen und Ingenieure maßgeblich beteiligt sind und von denen der Technologie- und Wirtschaftsstandort Deutschland hoffentlich auch nach Covid-19 und der im Anschluss sicher notwendigen und schwierigen Erholungsphase profitieren wird. Was aber auch wichtig ist: Wir sehen, dass Menschen enger zusammenrücken. Ganz viele neue Kooperations- und Unterstützungsformen entstehen und die Solidarität untereinander hat zugenommen.
Was können Ingenieur*Innen tun, um an der Bewältigung der Corona-Krise mitzuwirken?
Es hat sich innerhalb kürzester Zeit gezeigt, wie wichtig das Fachwissen von Ingenieur*innen ist, um den neuen Herausforderungen im Rahmen der Corona-Pandemie zu begegnen. Besonders bezeichnend ist dabei das branchenübergreifende und interdisziplinäre Denken und Handeln. Es gibt inzwischen eine große Zahl von Initiativen und Ideen, um beispielsweise den Engpässen in der Medizintechnik entgegen zu wirken.
Plattformen wie etwa „3D Printing fights corona“, bei der es um die schnelle Produktion von Schutzschirmen fürs Gesicht geht, oder Initiativen von Unternehmen aus der Produktion, die plötzlich Komponenten für die Herstellung von Beatmungsgeräten liefern können, Aktionen der Textilindustrie zur Produktion der dringend benötigten Schutzausrüstung für medizinisches Personal, die schnelle Programmierung einer Tracking-App aus den Reihen der Studenten und Jungingenieure des VDI anlässlich eines Hackathons der Bundesregierung und vieles mehr. Um so etwas schnell und erfolgreich umzusetzen, braucht es das Knowhow von Ingenieur*innen.
Was wird nach der Krise anders sein?
Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die nach der Krise überbleiben und uns eine Weile beschäftigen werden, sollten wir vor allem die positiven Erfahrungen, die zwangsweise aufgrund der Krise insbesondere in der Industrie entstanden sind, als Basis für neue Produkte, Produktionsabläufe, Wertschöpfungsketten nutzen und weiterentwickeln. Besonders das hohe Maß an Flexibilität und Kreativität sollte uns positiv in die Zukunft blicken lassen. Das derzeitige branchenübergreifende Zusammenarbeiten schweißt unsere Gesellschaft auch längerfristig zusammen.
Es zeigt, dass wir mit unserem Know how gegenseitig einspringen, wenn Hilfe von Nöten ist. Mein ganz besonderer Dank gilt deshalb allen Ingenieur*innen, die an der Beherrschung und Bewältigung der Epidemie tatkräftig und oft über Grenzen hinweg mitwirken. Das Wiederanfahren nach der Krise erfordert ein gutes Management. Hier werden Ingenieure auch wieder stark gefragt sein.
Wie meistert der VDI die derzeitige Situation? Wo liegen aktuell die Prämissen?
Der VDI ist als großer Verein relativ gut gerüstet, um die Krise zu stemmen. Neue Strukturen, veränderte Arbeitsprozesse, ein gut funktionierendes Management und vor allem die digitale Unterstützung tragen dazu bei. Die tägliche Prämisse derzeit ist, unsere Mitarbeiter*innen zu schützen, damit sie gesund bleiben, sowie für unsere Mitglieder da zu sein und ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Dazu genügt ein Blick auf unsere Corona-Themenseite.
Darüber hinaus sind wir zur Bewältigung der Krise auf unterschiedlichen Plattformen und bei verschiedenen Aktionen entweder unterstützend oder aktiv mit im Boot. Zudem ist der VDI gerade durch seine große Anzahl ehrenamtlicher Experten als Dialogplattform, Wissensvermittler und Ratgeber verstärkt gefragt.
Damit dieses Engagement auch zielgerichtet funktioniert, arbeiten die Mitarbeiter*innen des VDI derzeit dankenswerter Weise mit sehr viel zusätzlichem Engagement und Einsatz.