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Für zukünftige Therapien geeignet?

Optogenetik – Zellen mit Licht steuern

Bild: Gorodenkoff/ Shutterstock.com

Lichtschalter an – Krankheit geheilt. Optogenetik ermöglicht es Forschenden, das Kommunikationsverhalten von Nervenzellen zu untersuchen und damit Krankheiten besser zu verstehen. Aber eignet sie sich auch als Therapieansatz?

Es klingt futuristisch: Zellen mit Licht steuern! Genau das ist mit Optogenetik möglich: Bestimmte Zelltypen können gezielt mithilfe von Licht aktiviert oder gehemmt werden und so Zusammenhänge zwischen neuronaler Aktivität und Verhalten herstellen. Die Methode wird bisher hauptsächlich zur Grundlagenforschung in den Neurowissenschaften eingesetzt, doch humanmedizinische Anwendungen sind ebenfalls denkbar.

Professor Dr. Olivia Masseck von der Arbeitsgruppe Synthetische Biologie an der Universität Bremen erklärt: „In den letzten fast 20 Jahren der Grundlagenforschung wurde eine Vielzahl verschiedener optogenetischer Werkzeuge entwickelt, die in der Lage sind, nicht nur neuronale Aktivität, sondern auch Rezeptor-Signalwege oder Protein-Interaktionen mit Licht zu steuern. Das eröffnet langfristig nicht nur die Möglichkeit für ein besseres Verständnis des gesunden und kranken menschlichen Gehirns, sondern auch für die Entwicklung neuer Therapieansätze“.

Lichtaktivierbare Proteine als Basis

Optogenetik ist eine relativ junge Methode. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine Kombination aus Gentechnik und Lichtstimulation. Als Basis der Optogenetik dienen lichtaktivierbare Proteine, die in der Zellmembran von Algen sitzen und dort für die Lichtsensitivität verantwortlich sind. Seit Anfang der 2000er Jahre machen sich Forschende dies zunutze und isolieren die entsprechende Gensequenz der Alge Chlamydomonas reinhardtii. Im Tierversuch wird diese Gensequenz in ein beliebiges, ungefährliches Trägervirus eingebaut und zum Beispiel in ein Mäusehirn injiziert. Das Virus vermehrt sich, und die Information über das geänderte Genmaterial wird von den Nervenzellen aufgenommen. Mit den so erhaltenen Informationen bilden die Nervenzellen ebenfalls lichtaktivierbare Proteine.

Eines der bekanntesten lichtaktivierbaren Proteine ist Channelrhodopsin2 (ChR2), ein lichtaktivierbarer Ionenkanal. Mit blauem Licht bestrahlt, öffnet sich der Kanal und Ionen können die Zellmembran passieren. Die einströmenden positiv geladenen Ionen aktivieren die Zelle. Diese Methodik wird in den Neurowissenschaften bereits seit mehreren Jahren in Tierversuchen (Maus, Ratte, Taube, Fliege, Zebrafisch) angewandt. Krankheiten, wie Epilepsie oder Parkinson, lassen sich so im Tierversuch erforschen. 

Um beispielsweise bei einer Maus eine spezifische Hirnregion zu aktivieren, wird ein Lichtleiter implantiert. Ein Lichtleiterkabel verbindet das Implantat mit einer Lichtquelle und ermöglicht es, die Zellen im wachen und frei beweglichen Tier anzusteuern, ohne dass die Maus dadurch beeinträchtigt wird. 

Doch Nervenzellen können nicht nur aktiviert, sondern auch gehemmt werden. Ein hierfür häufig verwendetes Protein ist die Chloridpumpe Halorhodopsin. Diese nutzt die Energie von gelbem Licht, um die Zellmembran zu überwinden und negativ geladene Chloridionen in die Zelle zu transportieren. Bei Mäusen ließ sich so unter anderem die Stärke von Epilepsieanfällen verringern.

Von der Maus zum Menschen

Neben der rein neurowissenschaftlichen Anwendung im Tierversuch gibt es bereits erste Studien, Optogenetik in der Humanmedizin einzusetzen. Großer Vorteil für die Erkrankten: Es entstehen keine Nebenwirkungen durch die Einnahme von Medikamenten und die Therapie lässt sich auf einzelne Zelltypen begrenzen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Wirkung innerhalb von wenigen Millisekunden einsetzt, wohingegen viele Medikamente ihre Wirkung erst nach Minuten bis hin zu mehreren Wochen entfalten.

Optogenetik bringt Teile des Augenlichts zurück

In einer der bisher bereits durchgeführten humanmedizinischen Studien geht es um die Augenerkrankung Retinitis pigmentosa. In deren Folge sterben Zellen in der Netzhaut ab, was zur Erblindung führt. Die Funktion der abgestorbenen Zellen kann durch das Einbringen des Gens, das für eine mit rotem Licht aktivierbare Variante von ChR2 kodiert ist, in der Netzhaut ersetzt werden. 

Damit die Erkrankten wieder sehen können, benötigen sie zusätzlich eine spezielle Brille. Diese scannt die Muster der Umgebung und leitet sie in Form von Lichtblitzen an das Auge weiter – ein spezielles Training hilft bei der richtigen Interpretation der Lichtblitze. Innerhalb der Studie gibt es bereits erste Erfolge, bei denen die Erkrankten in der Lage sind, dunkle Objekte auf einem hellen Tisch zu erkennen.

In einer weiteren Studie wird mithilfe von optischer Stimulation des Innenohrs das Hören verbessert. Optogenetik fungiert hier als Alternative zum bisherigen Cochlea-Implantat, das rein auf elektrische Stimulation setzt. 

Methodische und ethische Herausforderungen

In der Humanmedizin kann Optogenetik nur dann gezielt eingesetzt werden, wenn alle Abläufe und Prozesse eines Krankheitsgeschehens genau bekannt sind. Nur so lassen sich die betroffenen Zellen ansteuern. Das Einbringen eines Lichtleiters in das Gewebe stellt dabei die größte Herausforderung dar: Bei Mäusen sind Lichtleiter mit einem Durchmesser von 200 Mikrometer ausreichend. Beim Menschen müsste der Durchmesser je nach Körperregion deutlich größer sein, um die erforderliche Reichweite des Lichts zu realisieren. Das wiederum verursacht Schäden im Gewebe. Neben diesen methodischen Herausforderungen ist der ethische Aspekt nicht zu vernachlässigen: Damit Zellen mit Licht gesteuert werden können, müssen sie, wie oben beschrieben, mithilfe von Gentherapie verändert werden. Das bedeutet, dem menschlichen Organismus werden körperfremde Gene zugeführt. Diese und andere gentherapeutische Methoden bedürfen vor ihrer humanmedizinischen Anwendung einer strengen wissenschaftlichen, ethischen und behördlichen Prüfung.

Bis sich also die Optogenetik von der reinen Versuchsanwendung hin zu einem Therapieansatz für verschiedene Krankheiten entwickelt, könnte es noch dauern.

Begriffserklärungen

  • Lichtleiter: Die Lichtleiter zur optischen Stimulation bestehen aus einer dünnen Glasfaser. Je nach Zielorganismus beträgt der Durchmesser der Glasfaser nur wenige hundert Mikrometer Durchmesser. 
  • ChR2: Channelrhodopsin-2 (ChR2) ist ein unspezifischer Kationenkanal, der aus der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii stammt. ChR2 absorbiert blaues Licht und bewirkt eine Konformationsänderung, die es H+-, Na+-, K+- und Ca+-Ionen ermöglicht, passiv an ihren Konzentrationsgradienten entlangzudiffundieren. Wenn diese Kanäle in Neuronen exprimiert werden, führt ihre Öffnung zu einer schnellen Depolarisierung der Plasmamembran, die Aktionspotenziale auslösen kann. Wichtig ist, dass sich der Kanal auch sehr schnell wieder schließt, wenn das blaue Licht ausgeschaltet wird.
  • Halorhodopsin: lichtgesteuerte Ionenpumpe, die spezifisch für Chloridionen ist und in phylogenetisch alten Bakterien (Archaeen), den so genannten Halobakterien, vorkommt. Halorhodopsin nutzt die Energie des gelben Lichts, um Chloridionen in die Zelle zu transportieren und dabei das Membranpotenzial zu überwinden. Dies führt zu der Hyperpolarisation der Zelle und somit zur Hemmung.
  • Cochlea-Implantat: Hörprothese für Ertaubte und Gehörlose. Der Hörnerv wird durch elektrische Stimulation direkt angeregt. Töne können dadurch klarer wahrgenommen werden. Ein Cochlea-Implantat ist nicht vergleichbar mit einem Hörgerät. Dieses verstärkt nur die Lautstärke von Geräuschen.

Autorinnen: Dr. Jill Gerdey und Alice Quack

Fachliche Ansprechpartnerin:
Dr. Jill Gerdey
KRdL-Fachbereich Umweltqualität
E-Mail: jill.gerdey@vdi.de 

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