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Smart Meter

Sand im Getriebe der Energiewende

Bild: cigdem/Shutterstock.com

Ein zentraler Baustein der Energiewende ist vorerst gestoppt: Der Start der Smart Meter sollte nach sehr langer Vorbereitungszeit nun Fahrt aufnehmen, da wurde dem Rollout vergangene Woche durch eine Verfügung des OVG Münster der Wind aus den Segeln genommen. 

Was ist passiert? Die Verfügung des OVG Münster sagt verkürzt, dass die sogenannte Markterklärung aus dem Januar 2020 und die damit verbundene Einbauverpflichtung für die Strommessstellenbetreiber für die neuen Smart-Meter-Gateways nicht gültig ist. Daher dürfen auch alle anderen Messtechniken weiter verbaut werden. Das Problem an dieser Entscheidung ist, dass sie bereits seit 2018 vorhersehbar gewesen war und man sie durch einfache Veränderungen im Messstellenbetriebsgesetz hätte verhindern können.

Trotz vieler Hinweise und Diskussionen hierzu sind die zuständigen Stellen im Bundeswirtschaftsministerium nicht auf das Problem eingegangen. Und nun ist der größte anzunehmende Schaden entstanden: Zeit, Geld und Vertrauen wurden verspielt. Noch schlimmer: Das Voranschreiten der Energiewende ist gefährdet.

An der Basis der Technik wird schon zehn Jahre gearbeitet

Bereits seit Ende der Nullerjahre ist klar, dass Intelligenz in die Netze kommen muss, um die zweite Phase der Energiewende zu schaffen – also die Ablösung der Systemverantwortung von den fossilen Großkraftwerken zu den volatilen erneuerbaren Energien. Über das EEnergy-Projekt organisierte das heutige Bundesministerium für Wirtschaft und Energie das Austesten solcher Techniken und schuf mit dem geänderten Energiewirtschaftsgesetz von 2011 bereits die Basis für den Einsatz dieser Technik.

Als deutsche Besonderheit sollten die höchsten Sicherheitsanforderungen für den Datentransport zum Einsatz kommen. Fünf Jahre später wurde dann zur Überwindung des Henne-Ei-Problems (keine Gateways ohne Marktnachfrage bzw. keine Marktnachfrage ohne Gateway) das Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) erlassen. Mit diesem wurden die Netzbetreiber in ihrer Funktion als grundzuständige Messstellenbetreiber dazu verpflichtet, nur noch die Technik zu verwenden, die das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) dafür vorgibt und für jedes Gerät freigibt.

Sollte der Einsatz der Geräte nicht vor kurzem noch ausgeweitet werden?

Jedoch hat man im Gesetz einen Wunschkatalog vorgegeben, der erst bei vollständiger Erfüllung zur Umsetzung dieser Pflicht führt, statt ein Stufenkonzept für eine normale technische Entwicklung zu ermöglichen. Dies war bereits 2018 in Rechtsgutachten nachzulesen. Die Nichtberücksichtigung dieser Hinweise hat nun dazu geführt, dass der lang vorbereitete Rollout nun vorerst quasi gestoppt ist.

Der damit eingetretene Schaden ist erheblich im Verhältnis zu den wenigen erforderlichen Schritten. Während man vor wenigen Wochen im Zusammenhang mit der EEG-Novelle noch über eine Ausweitung der Einbauverpflichtung für Smart Meter sprach, ist nun so richtig Sand im Getriebe der Energiewende. Denn es gibt eine Vielzahl von Beteiligten, die von den Konsequenzen dieses Problems betroffen sind:

  • Die Hersteller der Geräte werden massiv geschädigt, da sie sich auf die Vorgaben des BMWi verlassen haben und unter großen Anstrengungen diesen besonderen, nationalen Weg mitgegangen sind, geduldig die Diskussion über die schrittweise Weiterentwicklung des Systems unterstützt und teilweise schon fast über ein Jahrzehnt diese Arbeiten vorfinanziert haben.
     
  • Netzbetreiber und Messstellenbetreiber werden geschädigt, die sich mit viel Zeit und Geld auf den Einbau vorbereitet haben, unter anderem durch die Organisation der sogenannten sicheren Lieferkette (SILKE), der Ausbildung ihrer Mitarbeiter zu sicheren Monteuren (SIMON) und vielem mehr. Weiter mussten alle Teilnehmer des Strommarktes unter hohen Kosten und Zeitdruck ihre Softwareprozesse für die bald kommenden Gateways vorbereiten.
     
  • Die Kunden mit schaltbaren Verbrauchern werden geschädigt, da sie ihre heute gebauten Anlagen gegebenenfalls in Kürze wieder umrüsten müssen. Kunden, die bereits heute intelligente Lösungen benötigen, stehen in der Gefahr, Techniken zu verbauen, deren Einsatz später Behörden untersagen.
     
  • Die Gesamtheit aller Stromkunden wird geschädigt, da die nun schon anlaufende Mobilitätswende und eine anstehende Wärmewende ohne die Steuerungsfunktionen für „Intelligente Netze“ zu einem massiven Ausbau und damit zu einem weiteren Anstieg der Netzkosten und damit der Strompreise führen wird. Das liegt daran, dass die notwendige Netzkapazität mit einer Intelligenten Lösung auf ein Mindestmaß hätte begrenzt werden können. Ohne intelligente Lösung können Netze nur auf den schlimmsten Fall maximaler, gleichzeitiger Netznutzung ausgelegt werden. Dies führt zu hohen Kosten für den Netzausbau einerseits und andererseits zu Problemen in der Anbindung von Wärmepumpen und Elektrofahrzeugen.
     
  • Der Ingenieurstandort Deutschland, der mit dieser Entwicklung die Chance auf eine Vorzeigetechnologie vertan hat. Anstatt selbst mit innovativen Lösungen voranzugehen, können deutsche Unternehmen nur weiterhin zusehen, wie andere Länder bereits Lösungen einsetzen, die in Deutschland auf sich warten lassen. Das könnte in finaler Konsequenz auch dazu führen, dass Technologien aus anderen Märkten sich bei uns durchsetzen und Produkte sowie deren Hersteller aus unserem heimischen Markt verdrängt werden.
     
  • Größter Verlierer dieser Entwicklung werden das Klima und die Bemühungen um effektiven Klimaschutz sein, da die Verzögerung dieser Schlüsseltechnologie der Digitalisierung der Energiewende viele Produkte und Entwicklungen bremst, die für eine schnelle Erreichung der Klimaziele erforderlich wären. Das kann mitunter dazu führen, dass klimaschädliche Kohlekraftwerke zum Erhalt der Versorgungssicherheit länger laufen müssen, da Alternativen nicht zur Verfügung stehen.

Der technologische Vorsprung Deutschlands ist gefährdet

Prof. Dr.-Ing. Harald Bradke, Vorsitzender des Interdisziplinären Gremiums Klimaschutz und Energiewende im VDI, stuft die Situation folgendermaßen ein:

Deutschland wurde für seine Vorreiterrolle im Ausbau erneuerbarer Energien lange international beachtet. Nun fallen wir nicht nur durch den ins Stocken geratenen Ausbau erneuerbarer Energien im internationalen Vergleich zurück, sondern verlieren eine lang erwartete Grundlage, die für die weitere Transformation des Energiesystems notwendig ist. Zur Erreichung der Klimaziele brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen. Mit diesem Rückschritt wird nicht nur der technologische Vorsprung Deutschlands gefährdet, sondern auch die Erreichung der Klimaziele erschwert und unnötig verteuert.

Die Lösung dieses Problems sollten die Verantwortlichen nun mit höchster Priorität durch schnellstmögliches Vorgehen herbeiführen. Denn am Management dieses Projektes hängen wie beschrieben wichtige Herausforderungen, die alle unter großem Zeitdruck stehen. Vorgaben zur Erreichung der Klimaziele, der Energie-, Mobilitäts- und Wärmewende sind schon gemacht und werden weiter verschärft. Ohne die notwendigen Werkzeuge droht deren Erreichung zu scheitern.


Autoren:
Christian Borm, Heinrich Lang und Jürgen Blümer
VDI-Topthema Energie und Umwelt: das 1,5-Grad-Ziel
E-Mail-Adresse: borm@vdi.de

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