"Unsere Gebäude wurden für ein Klima errichtet, das es nicht mehr gibt"
Ob Hitzewellen, Dürre oder Starkregen, Hochwasser und Hagelschlag: Wetterextreme nehmen weltweit zu. Auch in unseren Breiten sind Immobilien und Infrastruktur den immer deutlicheren Folgen der Klimaerwärmung ausgesetzt. Bisher spielt dieser Aspekt bei Gebäuden jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Dabei wäre ein Blick auf Gefahren und Schwachstellen der Immobilien dringend nötig, denn vielen Problemen kann vorgebeugt werden.
Bernhard Nimbach beschäftigt sich als Ingenieur schon lange mit der Planung und Bewertung von Gebäuden und ganz speziell mit dem Thema Klimaangepasstheit. Er kennt die typischen Schwierigkeiten und verrät uns im Interview, warum eine Klima-Resilienz-Beurteilung für Gebäude Standard werden sollte und welche kleinen Änderungen schon helfen können.
Wie sind Sie auf das Thema Klima-Resilienz bei Gebäuden gekommen?
Nimbach: Unser Ingenieurbüro hat bei der Planungs- und Beratungstätigkeit im Bereich TGA bei Krankenhäusern und Laboren schon seit längerem die große Bedeutung von Nachhaltigkeitskriterien erkannt. Es gibt zwar klare Vorgaben für beispielsweise die Standsicherheit, den Wärme- oder den Brandschutz, aber verbindliche Regeln für eine Bewertung der Klima-Resilienz fehlen. Dabei leben wir in einer Zeit, in der Wetterextreme zunehmen. Unsere Gebäude wurden für ein Klima erreichtet, das es nicht mehr gibt. Auch bei uns in Deutschland sehen wir uns Phänomenen wie Tornados gegenüber, die früher keine oder kaum eine Rolle gespielt haben. Daraus folgt die Frage: Was können Bauherren bei der Planung oder Instandsetzung eines Gebäudes tun, um Menschen, Immobilie und Technik zu schützen? Wie kann man etwa verhindern, dass der Keller vollläuft oder die Kältemaschine auf dem Dach von Hagel beschädigt wird? Gibt es praktikable Möglichkeiten, um Schäden vorzubeugen?
Unsere Gebäude wurden für ein Klima erreichtet, das es nicht mehr gibt.
Warum braucht es Klima-Resilienz?
Nimbach: Unsere Erfahrung zeigt, dass es auf nationaler und internationaler Ebene zwar Normen, Richtlinien und Empfehlungen zu unterschiedlichen Teilbereichen gibt, aber systematische und spartenübergreifende Kriterien zur Bewertung der Klima-Resilienz von Gebäuden weitgehend fehlen. Bei unseren Auslandsprojekten in Regionen wie Zentralasien, die bereits jetzt massiv unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden, haben wir festgestellt, dass es dort bereits viele gute Ideen gibt, um Schäden vorzubeugen und Immobilien zu schützen. Man ist dort in vielen Punkten viel weiter als wir hier in Deutschland, es gibt kreative und bestechend einfache Lösungen.
Dabei stehen uns ja dieselben Schwierigkeiten bevor, und die Gefahren haben sich gewandelt. Wie sollen wir mit extremer Hitze oder mit Starkregen umgehen? Wie gut sind unsere Gebäude und auch unsere Infrastruktur darauf vorbereitet?
Wir müssen uns an diese neuen Gegebenheiten anpassen und eine neue Bewertung der Gebäude vornehmen.
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Wir müssen unsere Kulturschätze, unsere Immobilien retten!
Was sind typische Gefahrenstellen?
Nimbach: Typische Schwachstellen sind beispielsweise Tiefgaragen, Keller und Dächer. Wasser sucht sich immer seinen Weg nach innen und unten, wo häufig Dokumente lagern oder die Haustechnik und die IT untergebracht sind. Da ist die Katastrophe vorprogrammiert. Tiefgaragen und Keller werden zu Auffangbehältern für Wasser, und die damit verbundenen Schäden sind hoch: Geparkte Autos und gegebenenfalls auch die Haustechnik sind dann zerstört. Aber dem kann man vorbeugen.
Neben starkem Niederschlag unterschätzt man häufig die Gefahr durch kleine Bäche oder schlafende Wasserläufe. Dort kommt es sehr schnell zur Verklausungen, durch die der Einlauf verstopft, und dann sucht sich das Wasser einen anderen Weg. Hier hilft der Blick auf die hydrologische Modellierung, sofern sie existiert.
Schnell fließendes Wasser gefährdet unsere Infrastruktur
Bei einem Sturzregen kommt es dann schnell zu Überschwemmungen. Oft sind dann Zufahrten nicht mehr befahrbar oder Unterführungen laufen voll. Das ist auch ein Problem für die Rettungskräfte. Besonders kritisch ist der Betrieb von Krankenhäusern oder Altenheimen, die sich auf solche Gefahren vorbereiten müssen. Denn wenn dort beispielsweise länger der Strom ausfällt oder die Zufahrt nicht mehr möglich ist, wird es schnell lebensgefährlich.
Außerdem ist wenig bekannt, dass Wasser, wenn es sehr schnell fließt, Teile des Straßenbelags herausreißen und wegspülen kann. Dann wird unter Umständen in kürzester Zeit die ganze Straße oder auch die Infrastruktur aus Kabeln und Rohren unterspült.
Da stellt sich dann die ganz wichtige Frage: wie sicher und wie widerstandsfähig ist unsere Infrastruktur?
Nimbach: Neben extremen Niederschlägen kommen noch andere Probleme auf Immobilienbesitzer zu. Bereits für die nahe Zukunft werden sehr hohe Temperaturen bei gleichzeitig immer niedrigeren Grundwasserständen vorhergesagt. Dadurch werden auch Themen wie Wald- und Flächenbrände, potenzielle Brandlasten in der Umgebung und entsprechende Rettungswege relevant.
Wie kommen Sie zu einer validen Einschätzung und was kann man tun, um meine Immobilie klimaresilient zu machen?
Nimbach: Wir haben Klimaprojektionen für unsere Breiten ausgewertet. Ein gutes Beispiel für eine Internetseite, die für den jeweiligen Standort Projektionen zur Abschätzung der Naturgefahren bis zum Jahr 2100 liefert, ist die Seite des Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Hier kann man sich einen Überblick verschaffen, wo beispielsweise ein besonders hohes Risiko für Niederschläge, Blitzschlag oder Waldbrände besteht. Zahlreiche Publikationen enthalten Informationen über Maßnahmen zur Ertüchtigung von Immobilien. Sie sind zwar hilfreich, aber nicht ausreichend und vor allem nicht gebündelt. Auch ist nicht alles auf die deutschen Verhältnisse anwendbar und praxisnah. Diese Lücke müssen wir dringend schließen. Deshalb haben wir in unserer langjährigen Erfahrung all diese Erkenntnissen in systematischen Kriterien zusammengefasst, um die Klima-Resilienz von Gebäuden genauer zu bewerten und wirksame Abhilfe zu schaffen – sowohl für die Neuplanung als auch für den Bestand.
In Zukunft ist eine Klima-Resilienz-Beurteilung für Gebäude erforderlich
Können Sie das konkret erklären?
Nimbach: Beim klimaresilienten Bauen geht es um praktisch anwendbare Methoden zum besseren Schutz der Gebäude und der Infrastruktur. Für bestehende Objekte erstellen wir beispielsweise Due-Diligence-Berichte, um Vulnerabilitäten und Risiken möglichst realistisch einzuschätzen. Das beginnt bei der Topologie und der näheren Umgebung und reicht vom Keller bis zum Dach. Nicht zuletzt untersuchen wir auch das Notfallmanagement.
Jeder Teilbereich wird dann systematisch analysiert, bewertet und mündet in konkrete Empfehlungen. Die Analyse und die Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen dient nicht nur der Sicherung von Vermögenswerten, der Erhöhung des Gesundheitsschutzes und der Arbeitssicherheit, sondern gibt auch allen Stakeholdern konkrete Bewertungs- und Entscheidungskriterien an die Hand.
Eine Bewertung von der Topologie bis zum Notfallmanagement
Im Fall extremer Niederschläge bedeutet das zum Beispiel, dass man die Topologie und die Lage von Wasserläufen rund ums Objekt berücksichtigt und Niederschläge in der Vergangenheit analysiert, um Gefahrenquellen zu identifizieren und dann konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Wir empfehlen dann etwa den Einbau eines Überflutungsschutzes für die Tiefgarage, druckfeste Schellen für Entwässerungsleitungen oder eine Sicherung von Mülltonnen und Containern gegen Davonschwimmen. Niederschlagsbezogenes Notfallmanagement beginnt mit einer Pumpe oder einem Wassersauger im Keller und reicht bis zu Notfallübungen mit der Feuerwehr.
Ein anderes Beispiel ist Hagel: Gebäude und Fassaden lassen sich mit hagelfesten Rollos ausstatten. Für PV-Anlagen und Solarthermie empfehlen wir die Hagelschutzklasse 5. Auch exponierte Teile wie Ansaugungen von Kältemaschinen auf dem Dach lassen sich beispielsweise durch ein Schutzdach absichern. Es gibt also viele Möglichkeiten, die wir bisher viel zu wenig nutzen.
Wir gehen davon aus, dass in Zukunft eine Klima-Resilienz-Beurteilung für Gebäude genauso erforderlich sein wird wie die heute verpflichtenden Standsicherkeits-, Wärmeschutz- oder Brandschutznachweise.
Vita Bernhard Nimbach
Dipl.-Ing. (FH) Bernhard Nimbach, Jahrgang 1954, Studium der Versorgungstechnik an der FH München. Seit 1988 selbstständiger TGA-Planer mit Schwerpunkt Krankenhäuser und Labore, seit 2009 Partner der Nimbach Ingenieur- und Beratungsgesellschaft GmbH mit Sitz in München.
Das Interview führte Gudrun Huneke.
Fachlicher Ansprechpartner:
Dipl-Ing. (FH) Frank Jansen
VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik
E-Mail: jansen_f@vdi.de