Direkt zum Inhalt
30 Jahre Asbestverbot

Gesundheitsrisiko Asbest

Bild: Pixelone Stocker via Getty Images

Ob im Blumentopf, der Fensterbank oder in einer Vielzahl von Bauprodukten, von etwa 1880 bis in die 1990er Jahre war Asbest ein begehrter Baustoff, flexibel, feuerfest, isolierend und günstig. So gelangte Asbest als Dachdeckung, Isolierung, Putz oder Bodenbelag in fast jedes Haus.

Zwar wurde die Asbestose bereits 1937 als Berufskrankheit anerkannt, aber es dauerte bis 1993 bis die Verwendung endgültig verboten wurde. Doch noch immer ist die Zahl der Erkrankungen und Todesfälle durch Asbest hoch und das wird auch so bleiben. Denn er findet sich in fast allen Gebäuden, die heute renoviert oder abgebrochen werden und somit bleibt das Gesundheitsrisiko durch Asbest bestehen.

Dipl.-Ing. Martin Kessel kennt die Gefahren, die von Asbest ausgehen und auch, wie man die Risiken minimieren kann. Im Interview erklärt er, warum der Umgang mit Asbest auch in Zukunft eine große Rolle spielt.

VDI: Welche Asbestverwendungen finden sich in älteren Gebäuden am häufigsten?

Martin Kessel: Das offensichtlichste sind Faserzement und Dacheindeckungen. Das sieht man jeden Tag. Aber genauso findet sich Asbest in Hart-PVC-Platten, sogenannten Flor-flex-Platten, und in allerlei bauchemischen Produkte: von der Spachtelmasse und Dünnbettmörtel für Fliesen bis zum Fensterkitt.

Es gibt Schätzungen, dass etwa 3.000 Produkten im Baubereich Asbest zugesetzt wurde. Und zwar seit etwa 1880. Häufig entsteht der Eindruck, es sei ein Problem der Nachkriegsjahre, aber Asbest wurde auch schon früher genutzt, zudem auch bei Renovierungen und Sanierungen älterer und alter Gebäude. Darum geht das Thema Asbest auch alle an!

Das Thema Asbest geht alle an!

VDI: Welche Methoden werden eingesetzt, um Asbest in Gebäuden zu identifizieren?

Martin Kessel: Generell braucht es ein waches Auge und viel Know-how. Wenn Fachleute unterschiedliche Bauteile betrachten, können sie oft Etliches bereits durch visuelle Ansprache erkennen. Im Anschluss gilt es zu entscheiden, welche verdächtigen Bauprodukte beprobt werden sollen.

Hilfreich sind auch Pläne aus der Bauzeit und Informationen zu Renovierungs- und Sanierungsarbeiten. Hier gilt, je älter, je aussagekräftiger. Denn oft gibt es Produktbeschreibungen in den Detailplänen, in denen Asbest sogar mit aufgeführt ist. In etwa 70 Prozent aller Häuser, die vor 1990 gebaut wurden, finden wir Asbest. Bei Beprobung und Analyse verdächtiger Bauprodukte kann dann in rund vier von fünf Fällen Entwarnung gegeben werden - das ist für das weitere Vorgehen dann eine wichtige Information.

In wenigen eindeutigen Fällen lassen sich Asbestbelastungen durch visuelle Prüfung identifizieren. Ansonsten gilt es, qualifiziert Proben zu nehmen und zu analysieren. Dabei dürfen bei der Probenahme keine Fasern freigesetzt werden, es muss immer gehandelt werden, als sei Asbest im Material vorhanden. So gewinnen wir wichtige Ergebnisse für die Planungsmaßnahmen einer Sanierung. Hier helfen auch unsere VDI-Richtlinien. Sie sind das Maß der Dinge für die Erkundung und die angewendete Messtechnik. Was Messtechnik und Grenzwerte betrifft, sind wir in Deutschland gut aufgestellt und haben einen guten Standard.

Dipl.-Ing. Martin Kessel ist Senior Projektmanager bei der Arcadis Germany GmbH, stellvertretender Vorsitzender im VDI-Fachbereich Bautechnik, Mitglied im Vorstand der VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik, Leiter der Fachkommission Baufeldfreimachung/Altlasten im AHO, Dozent an mehreren Hochschulen, Referent bei Seminaren und Kongressen und Vertreter des VDI beim Nationalen Asbestdialog.

Jährlich 70.000 Asbesttote in der EU

VDI: Welche Gesundheitsrisiken gehen vom Asbest aus und welche Vorsichtsmaßnahmen sind bei der Entfernung von Asbest erforderlich?

Martin Kessel: Wichtig ist hier vor allem die Asbestose. Sie führt zu einer starken Einschränkung der Lungenfunktion und senkt deutlich die Lebensqualität. Ein weiterer Faktor sind unterschiedliche Krebserkrankungen, die in Zusammenhang mit Asbest stehen, wie das Mesotheliom, das meist nicht behandelbar ist und quasi immer wenige Monate nach Diagnose zum Tode führt. 

Wenig bekannt ist, dass diese Zahlen seit Jahren nicht rückläufig sind, wie viele es nach dem Verbot in den 1990ern erwartet haben. Sondern die Zahlen steigen noch und es ist kurzfristig auch keine gegenteilige Entwicklung zu erwarten. Denn wir bauen zu Dreivierteln im Bestand und das heißt wir arbeiten in vielen Gewerken in potenziell belasteten Bauwerken. Und diese Tatsache ist nach wie vor häufig nicht oder nicht ausreichend präsent.

In Deutschland gibt es knapp 1.600 Asbesttote jedes Jahr und hier sprechen wir nur von denen, die als Berufskrankheit anerkannt wurden. Das heißt, die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches höher, schätzungsweise bei rund 15.000.

Neben den persönlichen Schicksalen entstehen immense volkswirtschaftliche Schäden. Die Kosten, die den Berufsgenossenschaften jährlich durch Berufsunfähigkeit und Todesfälle durch Asbest entstehen, gehen in die Milliarden. Dazu kommen noch die Kosten für alle nicht als Berufskrankheiten anerkannte Belastungen und Erkrankungen. 

Darum ist es auch unverständlich, warum wir wahnsinnig viel Geld in den Brandschutz stecken, obwohl nur wenige Hundert Tote im Jahr zu beklagen sind und kaum etwas für das Bannen der Gefahren vor Asbest tun, obwohl in der EU jährlich 70.000 Menschen an den Folgen sterben.

Beispiele zu verbautem Asbest

Informieren, informieren, informieren!

VDI: Was heißt das für die Baubranche?

Martin Kessel: Zuallererst: Informieren, informieren, informieren und ernst nehmen! In allen Gewerken!

Wir müssen Asbest immer wieder zum Thema machen und es unbedingt auch mit in die akademische wie gewerbliche Ausbildung aufnehmen. Es muss in den Köpfen aller Verantwortlichen Platz finden! „Die Baubranche“, das klingt sehr breit und genauso breit muss diese Thema gespielt werden, denn es geht jeden an. Denn wir bauen zu Dreivierteln im Bestand, das ist die wichtigste Säule der Bauwirtschaft. Da gehen wir mit Altbausubstanz um und da steckt bei Baujahren vor 1994 fast immer Asbest drin.

Da kann sich niemand rausreden. Wenn ich in Vorträgen junge Menschen sehe, die vielleicht vor ihrem Studium im Handwerk gelernt und gearbeitet habe, sehe ich immer wieder betretene Gesichter bei Bespielbildern von asbestbelasteten Bauprodukten, denn auch sie waren oft mit Asbest im Kontakt und viele ohne die vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen.

Die großen Unternehmen sind auf Gesundheitsschutz eingestellt. Und auch die Handwerker unterliegen den gleichen Regeln. Aber diese halten sich oft in der Praxis nicht daran. Da wird der Fliesenspiegel abgeschlagen und renoviert, als gebe es kein Asbest. Dabei braucht es immer einen Schutz der Handwerker und Schutz der Menschen, die sich in den Objekten aufhalten, ganz zu schweigen vom Umgebungsschutz. Ordentlich erkunden, die Gefahren kennen und fachgerecht mit Asbest umgehen – das ist der einzige Weg, verantwortungsvoll mit diesem tödlichen Thema umzugehen.

Das Interview führte Gudrun Huneke.

Fachlicher Ansprechpartner:
Dipl-Ing. (FH) Frank Jansen
VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik
E-Mail: jansen_f@vdi.de

Artikel teilen