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Klimafreundliche Landwirtschaft

Grüner Wasserstoff für Traktoren

Bild: MAVV/Shutterstock.com

Zur Einhaltung der von der Europäischen Union gesetzten Ziele, die emittierten Treibhausgase bis zum Jahr 2030 maßgeblich zu reduzieren, gewinnen emissionsarme Lösungen der Mobilität auch im Agrarsektor stetig an Bedeutung.

Für die Feldbewirtschaftung kann die Verwendung des alternativen Energieträgers Wasserstoff, im Gegensatz zu konventionellen Kraftstoffen wie Diesel, in landwirtschaftlichen Maschinen einen entscheidenden Anteil zur Dekarbonisierung dieses Sektors beitragen. Dazu soll das vom Land Niedersachen geförderte Verbundprojekt H2Agrar pilothaft zeigen, wie eine dezentrale Wasserstoffwirtschaft gestaltet werden kann. Dabei wird die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet: von der Erzeugung von regionalem grünem Wasserstoff über die Verteilung bis zur Anwendung in einem Brennstoffzellen-Traktor. Als Modellregion wurde der Standort Haren (Ems) im Landkreis Emsland ausgewählt. Dieser bietet durch ein stark landwirtschaftlich geprägtes Umfeld und einen lokalen Windpark gute Voraussetzungen, das entsprechende Potenzial der alternativen Antriebstechnik im Zusammenspiel mit einer lokalen Wasserstoffwirtschaft zu erproben.

Wirtschaft und Forschung gemeinsam

Das auf drei Jahre ausgelegte, im Rahmen der Wasserstoffrichtlinie geförderte Projekt wird vom Verbundführer CEC Haren GmbH & Co. KG geleitet und vom Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge (IMN) der Technischen Universität Braunschweig sowie der Hochschule Emden/Leer wissenschaftlich begleitet. Als Industriepartner beteiligen sich die Unternehmen Röchling Engineering Plastics SE & Co. KG und der Landmaschinenhersteller AGCO GmbH mit der Marke Fendt am Forschungsprojekt.

Ausgangspunkt ist die Erzeugung des grünen Wasserstoffs, welcher durch den bereitgestellten Windstrom des Bürgerwindparks und zwei Elektrolyseure innerhalb eines Speicherfelds generiert wird. Dieser wird in der Region an einer öffentlichen Wasserstofftankstelle zur Verfügung gestellt. Hier werden auch die zwei im Laufe des Projekts von Fendt entwickelten Prototypen eines Brennstoffzellen-Traktors als Endverbraucher eingesetzt. Aufgrund der geringeren Speicherkapazität des Energieträgers Wasserstoff gegenüber des konventionellen Kraftstoffs Diesel ergeben sich für die praxisnahe Anwendung einer solchen mobilen Arbeitsmaschine neue technische und gegebenenfalls organisatorische Herausforderungen, insbesondere um eine vergleichbare Nutzbarkeit zu bestehenden Fahrzeugen zu erreichen.

Um hierfür Lösungen zu schaffen, werden am IMN durch simulative Untersuchung des Traktoreinsatzes in den verschiedenen agrartechnischen Verfahrensketten die Auswirkungen des veränderten Antriebskonzepts auf den Traktoreinsatz näher betrachtet. Im Rahmen dieser Simulation sollen neben den entstehenden Logistik- und Infrastrukturfragen zur Wasserstoffverteilung auch mögliche alternative Betankungskonzepte untersucht werden. Dabei soll neben einer optimalen Lokalisierung von Tankstellen auch der Einfluss von alternativen Konzepten der Betankung für einen solchen Brennstoffzellen-Traktor erforscht werden, darunter die Betankung direkt am Feld und die Sinnfälligkeit des Einsatzes von wechselbaren Wasserstofftanks auf dem Traktor.

Agentenbasierte Simulation bildet alle Prozesse ab

Die simulative Betrachtung erfolgt mithilfe einer am IMN entwickelten Methode zur Verfahrenssimulation. Die Abbildung der landwirtschaftlichen Prozesse geschieht in einem Verfahrensmodell und beruht auf einer agentenbasierten Simulation.

Jeder Agent repräsentiert im Modell ein Element des realen Systems. Im betrachteten Kontext stellt zum Beispiel der Brennstoffzellen-Traktor einen Agenten als Landmaschine mit einem Anbaugerät dar. Aber auch Felder, Betriebsstellen und die Aktionen der Betriebsleiter werden in die Simulation überführt und als Agenten abgebildet. Dabei werden die Szenarien an die am Projekt beteiligten landwirtschaftlichen Partnerbetriebe angelehnt, bei denen die Prototypen des Brennstoffzellen-Traktors erprobt werden sollen. Das notwendige Framework für diesen Untersuchungsansatz bietet die Simulationssoftware AnyLogic. Zur Nachbildung von Verfahrensabläufen handeln die Maschinen abhängig vom Verfahrensschritt und der Aufgabe, die sie gerade ausführen sollen. Sie greifen dazu auf Fähigkeiten und Algorithmen zurück, die in Form von jeweils einzelnen Funktionen im Modell implementiert wurden. 

Während der simulierten Tätigkeiten wird für jeden Arbeitsschritt der zu erwartende Wasserstoffverbrauch des Brennstoffzellen-Traktors bestimmt. Ausgehend von den Maschinen- und Anbaugerätemodellen, welche unter Berücksichtigung der verschiedenen Betriebszustände den Energiebedarf des Fahrzeugs definieren, kann so der Wasserstoffverbrauch, sowohl für die einzelnen Verfahrensschritte, als auch für das gesamte Verfahren, bestimmt werden.

Über die Einsätze kumuliert kann damit über eine gesamte Saison der zu erwartende Wasserstoffbedarf für die landwirtschaftliche Mobilität berechnet werden. Daraus lassen sich Aussagen über die Anforderungen an die Traktoren, insbesondere an die Infrastruktur der Wasserstoffbereitstellung (Elektrolyseurauslastung) und die benötigte Wasserstoffverteilung, treffen. Für diese Verteilung des Wasserstoffs entwickelt das Unternehmen Röchling Engineering Plastics im Rahmen des Projekts einen innovativen Wasserstofftransportbehälter. Durch Vergleichssimulationen der betrachteten Szenarien mit heute üblichen Einsätzen von konventionellen Maschinen können so Aussagen über das CO2-Einsparpotenzial durch die Verwendung von Wasserstoff und Brennstoffzellen in der agrartechnischen Mobilität getroffen werden. Eine Potenzialanalyse durch die Hochschule Emden/Leer soll letztlich die wasserstoffbasierte Mobilität in der Landwirtschaft für das gesamte Bundesland Niedersachsen auch auf Basis der Daten und Erkenntnisse aus der Modellregion bewerten. Dieses eignet sich besonders für eine solche Analyse, da die Landwirtschaft hier einen hohen Stellenwert hat und es eine große Anzahl an lokalen Standorten mit regenerativer Energieerzeugung gibt. Durch diesen Standortvorteil soll die Leistungsfähigkeit der Sektorkopplung zwischen der Erzeugung von grünem Wasserstoff und der wasserstoffbasierten Mobilität in der Landwirtschaft aufgezeigt werden und schließlich eine Gesamtbetrachtung aus ökonomischer und ökologischer Perspektive erfolgen. Durch den Einsatz von grünem Wasserstoff in der agrartechnischen Mobilität kann ein wichtiger Beitrag zur Umstrukturierung für eine nachhaltigere Zukunft geschaffen werden.

Autoren: Prof. Dr. Ludger Frerichs VDI und Lukas Reuter, M.Sc., Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, TU Braunschweig

Der Artikel ist im iQ-Journal (01/2022) des VDI Braunschweiger Bezirksverein e.V. erschienen.

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