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Digitale Hochschule

Wenn der Professor die Prüfung online abnimmt 

Die Corona-Pandemie verändert die Lehre an Fachhochschulen und Universitäten: Digitale Tools sind auf dem Vormarsch. Doch die Digitalisierung muss sich auch deutlicher in den Lerninhalten zeigen, sagen Stimmen aus dem VDI.

Die Infektionschutzmaßnahmen, mit denen Virologen und Gesundheitsämter verhindern wollen, dass sich das SARS-CoV2-Virus weiter unter den Menschen verbreitet, haben die Lehre und das Leben an den Fachhochschulen und Universitäten mächtig durcheinandergewirbelt: Im Sommersemester waren in Deutschland die meisten Studierenden und Lehrenden nicht vor Ort, sondern lernten beziehungsweise lehrten virtuell.

Videoconferencing gehört seitdem generell zum Alltag im Lehrbetrieb. Hierzu hat Rainer Drath, Professor für Mechatronische Systementwicklung an der Fakultät für Technik an der Hochschule Pforzheim, eine Beobachtung gemacht: „Im Ergebnis sitzen in den Vorlesungen zum Teil mehr Teilnehmer als üblich, weil niemand im Stau stehen muss oder krankheitsbedingt verhindert ist.“ Die Hochschule habe unkomplizierte Lösungen für Tafelbilder, Powerpoint-Präsentationen, Videos gefunden. Mündliche Prüfungen, Bachelor- und Masterprüfungen seien erfolgreich abgewickelt worden. Der Dozent könne jeden mit Namen ansprechen, keine Frage gehe durch die Chatfunktion verloren, der Austausch zwischen den Studierenden sei durch die Chatfunktion verbessert.  

Positive Erfahrungen gibt es auch an der Technischen Hochschule Georg Agricola in Bochum. Präsident Jürgen Kretschmann: „Die Bandbreite der digitalen Lehre reicht von vertonten Powerpoint-Präsentationen, die die Studierenden rund um die Uhr abrufen können, bis hin zur synchronen Kommunikation im Rahmen von Konferenzen. Da persönliche Einführungen in bestimmte Lehrbereiche, zum Beispiel in die Labors, aktuell auch nicht stattfinden können, haben die Mitarbeitenden auch dies mittels Fotos, erklärenden Texten oder Videos digitalisiert. Insgesamt haben wir festgestellt, dass es grundsätzlich wenig Stoff gibt, der sich nicht auch im virtuellen Kontakt vermitteln lässt.“

Eine Ausnahme seien Laborpraktika wie bei den Geologen. Bestimmte Gesteinsarten muss man einfach in der Hand halten, um Unterschiede im wahrsten Sinne des Wortes zu spüren. Den Beginn bis zum Wintersemester wollen die Bochumer nutzen: „Wir werden weiterhin konsequent unsere Onlinelehre optimieren. Hierzu gehören umfangreiche Evaluierungen mithilfe von Befragungen bei den Studierenden. Das Sommersemester bietet uns die Möglichkeit, mit neuen onlinegestützten Lehrangeboten Erfahrungen zu sammeln. Dies sehen wir als Chance. Wenn im Herbst die Studierenden wieder auf unseren Campus dürfen, wollen wir ihnen einen exzellenten Mix aus Online- und Präsenzlehre anbieten. Das ist unser strategisches Ziel.“ 

An der RWTH Aachen gibt es das CLS 

An der RWTH Aachen wurden vom Team des dortigen Centers für Lehr- und Lernservices (CLS) rund 5000 Lizenzen für ein Videoconferencing-System organisiert und an Lehrende vergeben, zum Wintersemester, das in Aachen am 26. Oktober beginnt (für Erstsemester ein Woche später), sollen die rund 45 000 Studierenden sogar alle damit ausgestattet werden, damit sie sich auch in Arbeitsgruppen kurzschließen können. In dem Center mit eigenem Studio erhalten Lehrende technische und didaktische Hilfe bei der Erstellung von digitalem Lehrmaterial, beispielsweise auch von Vorlesungsvideos. 

Einen großen Aufwand stellten in Aachen 400 Klausuren dar, die etwa in der Zeit von Mitte März bis zum Beginn des Wintersemesters ausgefallen waren und die alle in Präsenz bis zum Ende des Sommersemesters nachgeholt wurden. Für Studierende ist es in NRW allerdings ein Kann-Semester, und auch einen Versuch haben sie frei. Sollten sie bei der Prüfung durchgefallen sein, zählt dieser Versuch nicht. Seit dem 20. Juli werden die Präsenzklausuren des Sommersemesters geschrieben. Dafür sind mehr Räume und mehr Personal nötig, um den Mindestabstand zu garantieren.

Zurzeit wird in Aachen an einem Konzept gearbeitet, um schriftliche Prüfungen von zu Hause aus zu ermöglichen. Aloys Krieg, Prorektor für Lehre an der RWTH Aachen, rechnet aber damit, dass es noch zwei, drei Jahre dauern wird, bis dies in den Alltag integriert ist. Mündliche Prüfungen per Videokonferenzsystem gehören inzwischen zum Standard und werden sicherlich auch in der Nach-Corona-Zeit erhalten bleiben. Eine Umfrage unter Studierenden an der RWTH hat ergeben, dass sich die Mehrheit Präsenzveranstaltungen zurückwünscht. Zurzeit wird die Erhebung bei den Lehrenden gemacht. Anfang Oktober werden laut Krieg die Klausuren ausgewertet und dann wird bewertet, was von dem virtuell vermittelten Lehrstoff hängen geblieben ist und was sich didaktisch bewährt hat.  

Niemand weiß, wie sich das Pandemiegeschehen entwickelt. In Aachen wurden drei Szenarien aufgestellt, von denen Krieg eines für am wahrscheinlichsten hält: Die meisten Vorlesungen und Lehrveranstaltungen ab einer Größe von 50 Personen würden demnach per Videokonferenzsystem, also digital, stattfinden. Aber man wolle auch ermöglichen, dass man sich in kleineren Gruppen bis zu 20 Personen unter den gegebenen Infektionsschutzregeln treffen könne. Das sei insbesondere für die Erstsemester wichtig, um sozusagen ein „Onboarding“ zu ermöglichen, Kontakte zu knüpfen und den Ablauf an der Uni zu verstehen. Viele Erstsemester, die im Sommer neu nach Aachen gekommen seien, hätten wegen der fehlenden Präsenzveranstaltungen über Einsamkeit geklagt. 

Studierenden fehlen die sozialen Kontakte 

Fehlende soziale Kontakte – das ist ein Thema bei den Studierenden, auch wenn die Hochschulen sich des Problems durchaus annehmen: „Da uns neben der Qualität der Lehre auch der persönliche Kontakt und das Wohlergehen unserer Studierenden am Herzen liegen, haben wir auch hier unser Beratungsangebot erweitert und online verfügbar gemacht. Zudem bieten wir auch finanzielle Unterstützung an. Das Beratungsangebot wird angenommen und das Feedback ist gut. Zudem merken wir anhand der Klicks und Views auf unseren Social-Media-Kanälen, dass die Studierenden das Geschehen sehr aufmerksam verfolgen und jede neue Information dankbar aufnehmen“, sagt Jürgen Kretschmann.  

Stefano Gianmarco Fiordellisi, der im Vorstand des VDI-Netzwerks Studenten und Jungingenieure (SuJ) ist, und im 6. Semester Wirtschaftsingenieurwesen mit dem Schwerpunkt Maschinenbau an der Hochschule Darmstadt studiert, räumt ein, dass ihm und den Kommilitonen die physische Kommunikation fehle und er Präsenzveranstaltungen weiterhin wichtig findet. Er spricht sich für ein 50:50-Modell aus. „So digital wie möglich, wo es geht, bei Vorlesungen beispielsweise; es gibt natürlich auch Bereiche wie Praktika und Laborarbeiten, wo das eher nicht möglich sein wird.“  

Auch Saša Peter Jacob, Referent für Ingenieurausbildung beim VDI, erkennt an, wie schnell und meistens gut die Umstellung auf die digitale Lehre geklappt hat. „Einen Hörsaal digital zu ersetzen, ist wirklich nur der Anfang. Das ganze Konzept muss stimmen, sodass man auch alle anderen Sachen, die zu einer Uni gehören, abbilden kann. Und es ist definitiv eine Chance, auch Leute abzuholen, die schwächer oder stärker sind. Man hat nach den ersten Evaluationen festgestellt: Die, die eh schon stark sind, gut lernen und strukturiert arbeiten können, profitieren ungemein, weil sie dadurch Zeit gewinnen und diese Zeit weiter investieren können. Diejenigen, denen das schwerfällt, haben eher einen Nachteil durch solche Onlineveranstaltungen, weil ihnen die Struktur fehlt, die von außen angetragen wird.“ Zudem sei die wissenschaftliche Überprüfung der getroffenen Maßnahmen seitens der Hochschuldidaktiker wichtig, um die funktionierenden zu erkennen und die weniger guten Maßnahmen zu verbessern, anzupassen oder nicht weiter zu verfolgen. Der Transformationsprozess müsse weiter vorangetrieben werden. „Ein Rückfall in den Status vor Corona ist nicht wünschenswert“, sagt Jacob.  

Digitale Transformation in der Lehre ist entscheidend 

Der Referent für Ingenieurausbildung beim VDI gibt aber auch zu bedenken, dass es nicht nur darum geht, digitale Formate in die Lehre einzubringen, sondern insbesondere um das Verständnis der Digitalisierung. Was kann ich mit digitalen Formaten erreichen, wie kann ich Geschäftsmodelle herauskristallisieren, wie gehe ich mit der Digitalisierung um? Diese Fragen stünden im Vordergrund. „Es geht darum, dass die Ingenieur*in beispielsweise im Maschinenbau die Geräte und Maschinen, die sie konstruieren, informationstechnologisch erfassen können und dann auch in digitalen Lieferketten zu denken.“

Es gehe nicht nur um das Werkzeug, sondern komplett um die Struktur und Denkweise, die dahinter steckt. „Einfach nur einen Computer zu starten und per Zoom mit seinem Professor zu sprechen, ist nicht digitale Transformation. Das ist nur die Digitalisierung einer Kommunikationsmöglichkeit, aber kein digitales Denken im Sinne von Produkt, Märkten, Maschinen, was auch immer die entsprechenden Ingenieur*innen lernen“, so Jacob.  

Bei dem Studierenden Fiordellisi findet diese Forderung Verständnis. Studieninhalte müssten sich verändern. „Wir lernen Grundlagen, aber wir haben in den Studieninhalten wenig neue Aspekte wie Nachhaltigkeit und nachhaltige Prozessentwicklung“, sagt der Studierende aus Darmstadt. „Wir hatten das Modul Fertigungstechnik, und da wurde nur ganz kurz Rapid Prototyping oder 3-D-Druck angesprochen, das war dann wirklich nur eine Seite. Aber eigentlich ist genau das wichtig, weil das Technologien sind, die in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen werden.“ Auch agile Arbeitsmethoden fänden keinen Widerhall in der Lehre.  

Torben Miny, der an der RWTH Aachen im Bereich Automatisierungstechnik promoviert und Vorstandsvorsitzender des VDI-Netzwerks Studenten und Jungingenieure (SuJ) ist, sieht ebenfalls Handlungsbedarf. „Das Thema Programmierung muss mehr in die Ingenieur*innenausbildung einfließen.“ Seiner Erfahrung nach hätte ein Teil der Studierenden eine Ablehnung gegen Softwaretechnik, weil sie das als gar nicht zu ihrem Bereich zugehörig empfinden würden. „Aber wenn man sich dann später in der Industrie umschaut: Man kommt an der Softwareerstellung nicht mehr vorbei. Man muss modellieren können, man muss implementieren können, oder das zumindest verstehen können, und ich glaube, das ist ein Bereich, der in den Ingenieurstudiengängen meiner Meinung nach bisher noch deutlich zu wenig vorkommt.“

Autorinnen: Claudia Burger, Hanna Büddicker 

Ansprechpartner im VDI:
Saša Peter Jacob
Referent Ingenieurausbildung
E-Mail-Adresse: jacob@vdi.de 

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